Aus der Balance

Liebe Lucille,

also ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Sohn seiner Tochter nicht ständige Ortswechsel zumuten wird. Alleine schon aus dem Grund, weil er selber nicht der Typ dafür ist - und sich wohl gut vorstellen kann, dass das nicht nur positive Effekte für das Kind hätte.
Was meine Schwiegertochter betrifft: ich sehe es mittlerweile so, dass es auch für sie eine Chance ist. Im besten Fall gefällt es ihr ja und sie wird dann drei Sprachen sehr gut sprechen, wenn sie zurück kommt. Das käme ihr beruflich zugute, denn derzeit jobbt sie nur weit unter ihren Fähigkeiten. Andererseits - wenn sie es gar nicht aushalten sollte, wird sie mit meiner Enkeltochter zurück kommen und muss sich alleine ein Leben aufbauen - oder mein Sohn bricht das Ganze ab und kommt mit zurück.

Wie auch immer es laufen wird, jede Variante wird allen mehr Lebenserfahrung bescheren, aber auch mehr Klarheit über ihre Grenzen, Wünsche und Lebensziele. Das Kind hätte es zwar meiner Meinung nach besser, wenn es ohne Brüche aufwachsen könnte, aber sie hat zwei liebende Eltern, die sehr gut mit ihm umgehen - das ist ja schon sehr viel. Und wenn sie zurück kommen - in welcher Fraktion auch immer - bin ich ja auch noch für sie da, wir verstehen uns sehr gut und sie war bei mir immer sehr ausgeglichen.

Ich hatte zwar keine Ortswechsel als Kind zu verkraften, dafür eine unmögliche Familie, wo ich niemals Wertschätzung erfuhr. Das halte ich für weit schlimmer.

Liebe Grüße
Elena
 
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Liebe Elena!

Es ist schön zu lesen, wie Du jetzt offen auf die Zukunft zugehst und gelassener bist, was mögliche Entwicklungen anbelangt.

Jede Entwicklung birgt Gefahren UND Chancen, und ich finde, Du beschreibst das sehr klar.

Ob Dein Leben nun alleine schön wird oder nicht, hängt in erster Linie von Dir selbst ab - Einsamkeit ist nichts, was von außen kommt, sondern ein selbstgewählter Zustand, in den man sich begeben kann oder auch nicht.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Liebe Reinfriede,

mein Leben ist seit 25 Jahren voll von Entwicklung und Krisen gab es mehr als genug und heftiger als mir lieb war. Die letzten 6 Jahre war endlich Frieden eingekehrt und ich konnte einmal aufatmen und war glücklich. Begeistert bin ich nun nicht, dass ich wieder vor einer sehr großen Herausforderung stehe, die ich nicht selbst gewählt habe. Denn ich hatte wirklich gehofft, eine Ruhepause zu haben, die länger anhält.

Bitte sei vorsichtig und feinfühlig mit solchen Aussagen:
Einsamkeit ist nichts, was von außen kommt, sondern ein selbstgewählter Zustand, in den man sich begeben kann oder auch nicht.

Das ist ein bisschen weltfremd und geht davon aus, dass alles machbar ist, hat also ein gewisses Omnipotenzdenken an sich. Und widerspricht meiner Erfahrung. Differenzierter würde ich folgendes sagen:
Es kann sein, dass Einsamkeit dem eigenen Verhalten zuzuschreiben ist und dann ist es sinnvoll, sich damit zu befassen. Es kann aber genau so gut sein, dass es Gründe dafür gibt, die außerhalb der Reichweite des Einzelnen liegen und davor habe ich auch Respekt.

Nie sollte man alle(s) über einen Kamm scheren und nach dem Gießkannenprinzip einfach "Weisheiten" kund tun. Man könnte damit nämlich auch völlig daneben liegen und den Menschen, den es betrifft, damit klassifizieren, indem man ihn in eine vorgefertigte Schublade steckt und denkt, man selber "weiß", wie das alles läuft.

Ich kenne Menschen, die ohne eigenes Zutun in bittere Einsamkeit gekommen sind und ich kann dem gar nicht zustimmen, dass jeder alles ändern kann, wenn er nur will. Viele können vieles ändern, aber nicht alle alles. Es ist naiv, zu denken, man hätte selbst alle Macht der Welt unter allen Umständen und in jeder Situation. Diese Sichtweise kann man sich nur leisten, solange einem nichts so Dramatisches widerfährt, dass man es sich praktisch ständig selbst beweisen kann.

Ich bin ehrenamtlich tätig und ich sehe Schicksale, die nötigen mir höchsten Respekt davor ab, was Menschen ertragen können, wofür sie nie die Verantwortung hatten, sondern das ihnen von ihren Mitmenschen aus Gefühllosigkeit, Gleichgültigkeit oder Egoismus angetan wurde. Diese Menschen sind oft tapferer als jene, die "erfolgreich" ihr Schicksal meistern und verdienen große Wertschätzung.

Es ist eine schöne Illusion, dass alles machbar ist, dass jeder alleine seines Glückes Schmied ist und wir nicht auch in ein Leben hinein geworfen sind, das uns oft mehr abverlangt als wir schaffen können. Erst wer das erkannt hat, steht für mich mit beiden Beinen auf dem Boden und hängt keinem kindlichen Heile-Welt-Denken nach.

Liebe Grüße
Elena
 
Ein kluges Posting, Elena.

"Jeder ist seines Glückes Schmied" - diesen Spruch hat mir meine allererste Lehrerin in mein Poesiealbum geschrieben. Wenn man jung und behütet ist, dann kommt erst gar kein Zweifel an dieser Aussage auf, alles scheint erreich- und machbar.

Erst mit zunehmendem Alter begreife ich:
wenn ich Glück als einen angenehmen und sehr zufriedenen Gemütszustand definiere, der voraussetzt, dass ich mit dem zufrieden bin, was ich habe - dann ist Glück "machbar".

Aber selten ist das mit der "Glücksschmiede" so gemeint. Eher soll es heißen: wer sich anstrengt, scheitert nicht, und wer versagt, strengt sich nicht an und ist selber schuld. Diese Betrachtungsweise lässt das Schicksal, die Wahrscheinlichkeit, den Zufall und gesellschaftliche Rahmenbedigungen völlig außen vor. Ich denke, das ist die Quintessenz Deiner Aussage, oder?

Ich habe Reinfriede's Einschätzung so verstanden, dass auch die Einsamkeit ein Gemütszustand ist, der stark von unserer Sichtweise und unseren Gedanken geprägt ist.

Das Leben verlangt oft wirklich viel von uns ab. Die Hoffnung und der Glaube, die Klippen allen Widrigkeiten zum Trotz umschiffen zu können, ist wohl das, was uns, zusammen mit der Liebe, von einem Tag in den nächsten
trägt.

LG und gute Nacht,
Lucille
 
wenn ich Glück als einen angenehmen und sehr zufriedenen Gemütszustand definiere, der voraussetzt, dass ich mit dem zufrieden bin, was ich habe - dann ist Glück "machbar".

Aber selten ist das mit der "Glücksschmiede" so gemeint. Eher soll es heißen: wer sich anstrengt, scheitert nicht, und wer versagt, strengt sich nicht an und ist selber schuld. Diese Betrachtungsweise lässt das Schicksal, die Wahrscheinlichkeit, den Zufall und gesellschaftliche Rahmenbedigungen völlig außen vor. Ich denke, das ist die Quintessenz Deiner Aussage, oder?

Ich habe Reinfriede's Einschätzung so verstanden, dass auch die Einsamkeit ein Gemütszustand ist, der stark von unserer Sichtweise und unseren Gedanken geprägt ist.

Das Leben verlangt oft wirklich viel von uns ab. Die Hoffnung und der Glaube, die Klippen allen Widrigkeiten zum Trotz umschiffen zu können, ist wohl das, was uns, zusammen mit der Liebe, von einem Tag in den nächsten
trägt.

Liebe Lucille,

ich weiß, dass dieses Denken tröstlich ist und dass es für viele auch im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt. Was, wenn aber nicht? Daher würde ich so etwsa nie pauschal sagen oder glauben.
Was ist mit dem psychisch Kranken, der gar nicht die Ressourcen dazu hat, was mit den Opfern von Naturkatastrophen oder den Millionen, die in bitterster Armut leben und deren Kinder verhungern? Der Ansatz, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, ist ja gut. Aber was, wenn man wirklich zu wenig hat und es nicht ändern kann?
Auch die seelischen Ressourcen von Menschen sind unterschiedlich und das hängt oft mir ihrer Geschichte zusammen. Wir wissen nie von einem anderen, was ihm möglich ist und messen ihn so gut wie immer an unserer Latte. Was auf eine gewisse Weise selbstgerecht ist, aber auch ein Augenverschließen und ein sich Distanzieren bedeutet, weil wir nicht sehen wollen oder können, was unser Weltbild ins Wanken bringt.

Ich spreche jetzt nicht speziell von mir, aber auch von mir, denn was ich schaffe oder nicht schaffe, ist kein Beweis dafür, dass ein anderer es auch kann. Es setzt ein gewisses Maß an Kraft und innerer Basis - die bekanntlich ja in der Kindheit gelegt wurde - voraus. Und darin unterscheiden wir uns alle voneinander.

Liebe Grüße
Elena
 
Sandy und Elena. Darf ich Euch um Eure Art zu schreiben, beneiden?
Ihr "knallt" da einen Superbeitrag nach dem anderen hin. Mit soviel Feingefühl.
Haben das die meisten Männer nicht oder fehlt uns "irgendwie ein Chromosom"?
Ich beneide Euch, - ehrlich!

lg Martin
 
Liebe Lucille!

Ich habe Reinfriede's Einschätzung so verstanden, dass auch die Einsamkeit ein Gemütszustand ist, der stark von unserer Sichtweise und unseren Gedanken geprägt ist.

Ja, das war die Intention. Einsamkeit kann man auch zu zweit oder in einer großen Menge verspüren, es muss nichts mit dem "Alleinsein" zu tun haben.

Liebe Elena, es verletzt mich, als naiv klassifiziert zu werden oder dass mir kindliches Heile-Welt-Denken übergestülpt wird. Wollte ich nur kurz artikulieren, damit Du verstehst, warum ich mich aus diesem Thread zurückziehe. Und ja, in einem gewissen (und durchaus differenzierten) Rahmen denke ich omnipotent. Aber das zu erläutern, würde mich - so wie Dein Posting verfasst war - in eine Rechtfertigungsschiene bringen, die es mir - zumindest im Moment - nicht wert ist. Ist jetzt nicht persönlich gegen Dich gerichtet, sondern hat mit der Gewichtung zu tun.

Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft auf Deinem Weg.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Ach Reinfriede, bitte geh' nicht! Dein Posting hat schließlich den Anstoß zu weitergehenden Überlegungen über Einsamkeit gegeben. Ich fände es wirklich sehr schade, wenn Du Deine Gedanken und Ansichten dazu nicht niederschreiben würdest.
ElliB
 
Liebe Elli!

Weisst Du, das hat etwas mit achtvollem Umgang zu tun, den ich - aufgrund der Qualität dieses Threads - erwartet hatte. @Elena: Entschuldige, wenn ich nun der Einfachheit halber im Moment von Dir in der 3. Person schreibe.

Die Threaderstellerin, die ich aufgrund Ihrer Art zu schreiben, sehr ernst nehme, erörtert ein Problem, auf das mehrere User - in der Form in der sie es können - ihre Gedanken hiezu mitteilen, mit der Intention, das vielleicht der eine odere Ansatz hilfreich sein könnte. Also herrscht eine Atmosphäre des Wohlwollens, um es kurz zu fassen.

Und es wäre für mich schön und auch konstruktiv gewesen, wenn diese Form der Kommunikation weiter so erfolgt wäre. Dazu hätte auch gehört, dass bei missverständlichen Aussagen nachgefragt und nicht mit einer - bei mir abwertend angekommenen - Mutmaßung geantwortet wird.

Aber ich weiss auch, dass ich nicht der Nabel der Welt bin.
wink.png
Es macht nichts, wenn ich mich nicht daran beteilige. Viele wertvolle Gedanken bereichern inzwischen diesen Thread und ich wünsche Euch allen, dass es so weitergeht.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Liebe Reinfriede,

ich glaube, du hast mich missverstanden. Ich habe nicht darauf abgezielt, dich als naiv darzustellen, sondern meine Gedanken zu der Aussage nieder geschrieben, die von dir kam. Ich spreche nicht aus grauer Theorie, sondern aus Erfahrung und vielen Stunden tiefer Reflexion über das Leben. Daher meine ich das auch überhaupt nicht persönlich, weil es einfach meine Gedanken/Einsichten sind, die ich aufgeschrieben habe.

Ich kann schlecht etwas anderes schreiben, als das, was ich sehe und wie ich denke. Es hat nichts mit Geringsschätzung zu tun. Hätte ja auch sein können, dass du zB reagiert hättest, indem du denkst - so hab ich das nie gesehen. Alles, was ich dir zugemutet habe, war meine Sichtweise. Nicht böse gemeint und nicht abwertend, aber ehrlich.

Liebe Grüße
Elena
 
Sandy und Elena. Darf ich Euch um Eure Art zu schreiben, beneiden?
Ihr "knallt" da einen Superbeitrag nach dem anderen hin. Mit soviel Feingefühl.
Haben das die meisten Männer nicht oder fehlt uns "irgendwie ein Chromosom"?
Ich beneide Euch, - ehrlich!
lg Martin

Lieber Martin,

danke für diese Rückmeldung.
Ob Männer da anders sind? Mag sein, im allgemeinen wohl schon ein bisschen, aber ein Gesetz ist das sicher nicht. Es gibt großartige feinfühlige Männer - zumindest hab ich schon Bücher von solchen gelesen und war sehr angetan davon. Ich glaube einfach, feinfühlige Männer haben es schwerer in unserer Gesellschaft als feinfühlige Frauen. Wobei ich damit aber nicht sagen möchte, dass diese es so leicht haben.

Erst gestern zitierte eine Bekannte das Sprichwort "Wo ein Nagel raus steht, muss er rein geschlagen werden". Eine banale, aber leider doch wahre Aussage darüber, wie es Menschen in einem sozialen Gefüge geht, die nicht so ganz ins Schema passen - auch wenn das heutzutage um einiges weiter gefasst ist als noch vor 20 oder 30 Jahren. Und vor Klischees sind wir alle nicht gefeit. Insofern entwickeln wohl Männer ihre nicht typischen männlichen Seiten oft weniger als Frauen das tun.

Aber es gibt auch viele Frauen, die davor zurück scheuen, sich mal tatkräftig durchzusetzen oder ihren Aggressionen Raum zu geben, weil das dazu führen könnte, als "unweiblich" abgelehnt zu werden. Schließlich sind wir alle Kinder unserer Kultur und unsere Bezugspersonen waren/sind es auch.
Um da auszusteigen, bedarf es einer langen Entwicklung.

Liebe Grüße
Elena
 
... was mit den Opfern von Naturkatastrophen oder den Millionen, die in bitterster Armut leben und deren Kinder verhungern? Der Ansatz, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, ist ja gut. Aber was, wenn man wirklich zu wenig hat und es nicht ändern kann?

Liebe Elena,

nur ganz kurz ...

ja, wenn man wirklich zu wenig hat, es nicht ändern kann, dem Schicksal (wie in Deinen Beispielen) komplett ausgeliefert ist, dann ist die einzig mögliche Option sich eben diesem Schicksal zu ergeben. Resignation als Loslösung von der Hoffnung.

Mit dem viel-strapazierten Glücksbegriff hat das tatsächlich nichts gemeinsam. "Glück" läuft auf der Ebene des für uns Vorstellbaren ab. Wir können nur sehr begrenzt über unseren Tellerrand schauen. Und wir verdrängen. In gewisser Weise zum Selbstschutz, denn sonst würden wir verrückt, im wahrsten Sinn des Wortes.

LG
Lucille
 
Sandy und Elena. Darf ich Euch um Eure Art zu schreiben, beneiden?
Ihr "knallt" da einen Superbeitrag nach dem anderen hin. Mit soviel Feingefühl.
Haben das die meisten Männer nicht oder fehlt uns "irgendwie ein Chromosom"?
Ich beneide Euch, - ehrlich!

lg Martin


Ach lieber Martin,

Euch fehlt gar nichts! Ihr seid schon so richtig wie ihr seid
smile.png
, wenn ich jetzt mal in die Pauschalierungskiste greifen darf.
Frauen sind halt etwas kommunikativer als Männer...sagt man.

Und mit Feingefühl hat das schon gar nichts zu tun. Ich kenne viele wunderbar feinfühlige Männer, nur können sie´s halt nicht immer so ausdrücken. Drum haben wir ja seit Jahrtausenden ein Verständigungsproblem (kleines Späßchen
biggrin.png
).

Nein, jetzt mal im Ernst. Ich denke, es ist schon auch ein wenig Begabung. Nicht jeder hat schriftstellerisches Talent.

Aber nun möchte ich noch etwas zu den vorangegangenen Beiträgen anmerken:

Ich denke, Reinfriede meinte, dass man, wenn man allein ist, nicht auch unbedingt einsam sein muß. Denn das ist m.E. schon ein großer Unterschied.
Ich war nach dem unerwarteten Tod meines Mannes plötzlich allein und auch sehr einsam. Nach 28 Jahren Gemeinsamkeit fühlt man sich wie ein halber Mensch und man muß mühsam lernen, wieder ein ganzer Mensch zu werden. Darin besteht aber auch eine große Chance. Denn plötzlich wird einem bewußt, wie sehr man sich auch vereinnahmen ließ, sich zu Kompromissen hinreißen ließ, die vielleicht gar nicht immer nötig gewesen wären. Man gibt sich selber ein Stück auf. Dasselbe gilt für Kinder, die dann eines Tages aus dem Haus gehen.
Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber ich denke, vielen Frauen gehts ähnlich wie mir. Ich habe mein ganzes Leben lang für meinen Mann und meine Kinder gelebt. Ich tat es sehr gerne, keine Frage. Aber erst später merkte ich, wie sehr ich mich selbst vernachlässigt hatte. Ich lebte nicht, ich wurde gelebt.
Heute sage ich mir, ich hätte früher gegensteuern müssen. Naja, hinterher ist man immer gescheiter.

Das Problem, das viele Frauen (aber auch Männer) haben, ist, dass ihnen der Lebenssinn abhanden kommt, wenn sich die Familie auflöst, der Partner abhanden kommt und/oder die Kinder ihr Leben leben. Und dann heißt es, mit sich selber klar zu kommen, sich selbst im wahrsten Sinne des Wortes genug zu sein.
Das ist ein mühsamer Weg, keine Frage. Und man muß auch bereit sein, ihn zu gehen. Immer in der Vergangenheit hängen zu bleiben und vergangenen Zeiten nachzutrauern bringt einen nicht weiter.
Ich für mich kann heute sagen, dass ich es mittlerweile unendlich genieße, dass ich niemandem Rechenschaft ablegen muß, was ich tu. Ich liebe meinen Job, doch in meiner Freizeit lebe ich wie ein junger Hund in den Tag hinein. Ich genieße die Ruhe in meinen 4 Wänden und ich bestimme selbst, ob und wann und welche Gesellschaft ich haben möchte. Ich fühle mich frei!

Es ist schön, wenn man liebe Menschen um sich haben kann, aber man soll sie nicht brauchen müssen.

lg
Sandy
 
Liebe Elena,

ich weiss von meiner eigenen Mutter, wie schwer es ist, wenn das Kind auswandert. Ich habe einen Kanadier geheiratet und habe Deutschland mit 26 Jahren verlassen. Es ist unheimlich schwierig sich von geliebten Menschen, auch wenn es nur auf Distanz ist, zu trennen. Noch schwerer stelle ich es mir vor, wenn Du kein richtiges Netzwerk um Dich herum hast, das Dich auffangen kann. Ich bin ja selbst neu hier, und doch nehme ich mir heraus zu behaupten, dass Du hier unglaublich viel Unterstuetzung erfahren und immer ein offenes Ohr (Auge) finden wirst!

Ich sende Dir Kraft!
Liebe Gruesse,
cloudlight
 
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Hallo ihr,

ich möchte jetzt nicht speziell auf einen Beitrag antworten - ich finde alle wertvoll.

Dennoch möchte ich von mir etwas erzählen, das vielleicht nicht ganz klar war oder ist. Die Trennung von meinem Lebensgefährten erfolgte, als ich 30 Jahre alt war und mein Sohn knapp 3. Ich hatte damals bis zu seiner Geburt gearbeitet und sein Vater hatte studiert (5 Jahre lief das so, die ersten drei Jahre mit dem Kind lebten wir von staatlicher Unterstützung und meinen Eltern - an arbeiten war für mich nicht zu denken, ich schlief im Stehen ein und war praktisch 24 Stunden im Einsatz mit meinem Sohn, der ständig schrie, kaum schlief und wirklich die Herausforderung pur war). Unsere Lebenspläne gingen dahin, dass mein Lebensgefährte danach arbeiten wollte (durch das Studium hatte er tolle berufliche Aussichten) und ich endlich Psychologie studieren wollte und eben für das Kind da sein. Ich war mein Leben lang im falschen Beruf, meist total unterfordert und dementsprechend unglücklich damit.

Als mein Lebensgefährte mit dem Studium fertig war, hat er sich drastisch verändert. Er sah nur mehr seine Karriere und sagte mir klipp und klar, dass er zu jung für eine Familie gewesen war und die Entscheidung nicht hatte abschätzen können, er könne eigentlich mit uns gar nichts anfangen.

Ich war damit nicht nur gezwungen, meine gesamte Lebensplanung umzuwerfen, mit dem Alleinsein zurecht zu kommen und meinen Sohn alleine aufzuziehen (das war eigentlich das Schlimmste), wurde nicht nur von meinem Umfeld fallen gelassen (bekam sogar anonyme Anrufe, ich solle verschwinden aus dem Dorf - eine alleinstehende Mutter war dort sowas wie eine Hure), sondern ich konnte mir meinen Beruf auch nicht mehr aussuchen und musste bei dem bleiben, was ich eben vorher gemacht hatte. Ich bin zwar später noch zur Uni gegangen, aber ich hab das nicht gepackt mit dem Kind, das mich auslaugte und habe das Studium nach 5 Semestern aufgegeben (in denen ich zu den besten gehörte). Ich hatte auch kein Geld und mehr als ein Teilzeitjob war mit meinem Sohn nicht drin.

Ich war sehr einsam in dieser Zeit und ich litt darunter furchtbar. Es ging mir immer wieder sehr, sehr schlecht, vor allem, da ich einen schweren Rucksack an Altlasten mitschleppte, den ich erst mit harter Arbeit an mir selbst, viel Mühe und Hartnäckigkeit langsam abbauen konnte. Ich wurde wegen meines Sohnes sowohl von Lehrern als auch manchen Eltern anderer Kinder angefeindet, wir haben alles hinter uns - Schulwechsel, Polizei im Haus, Leistungsverweigerung, Autounfall mit Totalschaden, fast schwängerte er eine Klassenkollegin mit 16 usw. usw. usw.

Ich stand trotz allem zu ihm, auch wenn ich manchmal am liebsten schreiend davon gelaufen wäre. Ich suchte natürlich auch für mich mehr als ewige Pflicht und Geben, Geben und nochmal Geben - und ließ mich auch auf einige Beziehungen ein, die aber allesamt völlig unpassend waren, weil ich einfach keine große Wahl hatte. Letztlich bin ich alleine geblieben und als mein Sohn auszog, klappte ich zusammen. Aber nicht aus Trauer, sondern aus Erschöpfung. Ich war HEILFROH, dass ich endlich alleine leben konnte, auch wenn die Einsamkeit ohne Ablenkung anfangs erdrückend für mich war. Dennoch habe ich mich gut erholt und als mein Sohn seine jetzige Frau kennen lernte und das Baby sehr bald da war, wurde er endlich ruhiger und gesetzter und ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, eine Familie zu haben, wo alles gut lief. Natürlich nicht meine eigene, aber das wollte ich auch gar nicht, denn ich lebe sehr gerne alleine und tue seit Jahren nur mehr das, was ich tun will.

Aber ich bin auch ein Familienmensch, hatte nie eine gute Familie und das schien mir jetzt eine kleine Erfüllung dieses Wunsches zu sein. Ich habe mich nie eingemischt in ihr Leben und wir haben uns auch längst nicht ständig gesehen. Ich mache derzeit nebenbei eine Ausbildung im psychologischen Bereich, die mir sehr gut tut, arbeite ehrenamtlich und alles war im Lot. Ich habe weder viele Freunde noch klage ich darüber, wenn ich viel Zeit alleine verbringe.

Mein Job ist reiner Broterwerb, interessiert mich überhaupt nicht, ich bin auch dort unterfordert und könnte locker nur die halbe Zeit anwesend sein und würde alles genau so gut schaffen. Vermutlich noch besser, weil ich am effizientesten arbeite, wenn ich leicht unter Druck stehe und Herausforderung spüre. Aber ich habe mit 40 das letzte Mal den Job gewechselt (davor spätestens nach 4 Jahren) und heute bin ich schlicht zu alt, um wieder zu wechseln. Ich beziehe aber keine Kraft aus meiner Arbeit, schon gar keine Freude und wenn ich es mir leisten könnte, wäre ich sofort weg und ich wäre bestimmt weit glücklicher, wenn ich nicht mehr arbeiten müsste. Dann hätte ich mehr Energie, mich den Dingen zu widmen, die mich wirklich interessieren. Ich habe meine Arbeitszeit vor einem Jahr soweit reduziert, dass ich davon noch leben kann, weiter geht nicht.

Ich habe NIE für jemand gelebt, das Leben jemand anderes gelebt oder sonstwas in die Richtung. Ich war einfach gezwungen, meinen Sohn an erste Stelle zu setzen, weil sonst niemand da war und weil ich es für die wichtigste Aufgabe im Leben halte, die Verantwortung seinen Kindern gegenüber ernst zu nehmen. Aber glücklich war ich nicht damit und aufgegangen bin ich darin auch nicht.

Sandys Geschichte ist eine ganz andere als meine und man kann sie nicht in Ansätzen vergleichen. Ich war die größte Zeit meines Lebens alleine, ich war schon innerhalb meiner Familie als Kind alleine, weil ich ausgegrenzt wurde und ich war immer "anders" als andere und heute weiß ich, dass ich eine unentdeckte Hochbegabte, Hochsensible bin, die nie das tun durfte/konnte, was zu ihr gepasst hätte. Da ich viele Fähigkeiten habe, kann ich auch in allen möglichen anderen Jobs sehr gute Leistungen erbringen, aber ich saß nie in einem Job, wo das wirklich gefragt war.

Wahlmöglichkeiten hatte ich in meinem Leben - seit ich alleinerziehend war - so gut wie keine und die wenigen, die ich hatte, die hab ich alle ausgeschöpft, immer wieder und ich bin immer dran geblieben, mein Leben ständig zu verbessern. Aber ich hatte jahrelang heftige Depressionen und Panikattacken und Übermensch bin ich nun mal nicht, auch wenn ich manchmal für meine Begriffe fast Übermenschliches leistete. Ich hab mein Leben nie Psychopharmaka genommen, sondern die Zähne zusammen gebissen, um all das auszuhalten und durchzugehen.

Wer nicht verstehen kann, wie wichtig es für mich war, endlich, endlich einmal auch ein paar gute Jahre gehabt zu haben, der versteht mich nicht wirklich.

Liebe Grüße
Elena
 
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