Einsam da, wo ich es nie erwartet hätte

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24 Juni 2013
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Etwas großmäulig habe ich noch vor kurzem behauptet, alleine sei ich oft, aber nicht einsam.
Mir dämmert freilich schon länger, dass ich mir da die Wirklichkeit schön rede.

Ich lebe allein, meine erwachsenen Kinder wohnen z.T. weit weg, oder aber die Verbindung ist gestört.
Lange folgte ich der Idee, ich müsse mich engagieren, einbringen, um so über eine gemeinsame Aufgabe Kontakte zu knüpfen.

Längere Zeit besuchte ich meine Kirchengemeinde, nahm dort an einem Bibelkreis teil. Dann hatte ich Gemeinschaft - für anderthalb bis zwei Stunden. Nach dem Gottesdienst etwa saßen wir noch beim sogenannten Kirchenkaffe zusammen, um dann nach Hause zu gehen.

Ich bekam oft mit, wie sich besonders Ehepaare für nachmittags verabredeten. Mich hat niemand gefragt.
Es gibt so Orte, die einem den eigenen Zustand noch drastischer vor Augen führen, einer davon ist eine Kirchengemeinde, wo die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit besonders deutlich spürbar wird.

Hans
 
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Lieber Hans,

ein Freund meines Mannes ist Pastor in einer ländlichen Gemeinde, weit im Norden. Seine Gemeindemitglieder leben zum Teil weit verstreut in verschiedenen Dörfern, die oft nur aus einer Straße und paar Häusern bestehen. Besonders für ältere, alleinstehende Menschen ist es schwer, da nicht in Einsamkeit zu verfallen. Schließlich hat nicht jeder ein Auto und kann mal eben dahin fahren wo das Leben pulsiert und die Menschen sich treffen.

Aber auch unter vielen Menschen kann sich jeder von uns einsam fühlen. Und wir müssen auch nicht alt sein, um uns einsam zu fühlen.

Der Freund meines Mannes hatte nun die Idee alle diese Leute aus seiner Kirchengemeinde (und alle, die sich von seinem Angebot angesprochen fühlten) zusammenzubringen. Er organisierte einen Fahrdienst und mehrmonatliche Treffen, in denen sich die Leute im Gemeindehaus treffen und austauschen konnten. So kamen Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen zusammen, die eigentlich alle ein Thema hatten. Sie wollten weniger alleine/einsam sein und sie wollten etwas dagegen unternehmen. Zuerst wurde das Angebot nur zögerlich wahrgenommen, aber mittlerweile finden regelmäßige Treffen statt und einige wirklich interessante Aktionen laufen.

So werden z. B. Museumsbesuche organisiert, Kaffeenachmittage begangen, Fahrten zum Einkaufen in die nächstgrößeren Ortschaften unternommen und Vieles mehr. Aber auch ein Literaturkreis und ein Besuchsdienst für kranke und ältere Menschen aus der Nachbarschaft wurde gebildet.

Die ganze Gemeinde, die bisher nur aus Pastor, Kirchenvorstand, Bibelgruppe und Kirchenchor bestand, kam in Schwung.

Was ich damit sagen will ist, wenn du einsam bist, lieber Hans, reicht es nicht darauf zu warten, dass die Leute auf dich zu kommen. Du wirst selber aktiv bleiben müssen. Der Bibelkreis ist sicher eine interessante Sache. Aber wenn du 'nur' dahin gehst, um deiner Einsamkeit zu entfliehen, ist er sicher nicht ausreichend. Besonders, wenn die Teilnehmerschaft aus Paaren besteht.

Wie wäre es, wenn du dorthin gehst, wo auch viele alleinstehende Menschen sind? Vielleicht könntest du auch selber aktiv werden, z. B. über deine Kirchengemeinde?
 
Hallo Clara,

Du schreibst:

" Was ich damit sagen will ist, wenn du einsam bist, lieber Hans, reicht es nicht darauf zu warten, dass die Leute auf dich zu kommen. Du wirst selber aktiv bleiben müssen. Der Bibelkreis ist sicher eine interessante Sache. Aber wenn du 'nur' dahin gehst, um deiner Einsamkeit zu entfliehen, ist er sicher nicht ausreichend. Besonders, wenn die Teilnehmerschaft aus Paaren besteht."

Sei bedankt für deine schnelle Antwort. Nein, ich bin kein Mensch, der darauf wartet, dass andere auf mich zukommen, eher im Gegenteil: Ich kann auf Menschen zugehen. Aus meiner langjährigen Tätigkeit als Pädagoge verfüge ich über einen guten Draht zu jungen Menschen. Und auch mit der Generation "über mir" habe ich keine Kontaktprobleme.

Vor vielen Jahren stand ich in meiner Kirchengemeinde über längere Zeit auch auf der Kanzel, hielt Gottesdienste. In der ev. Kirche ist das ja möglich. So habe ich mich dann auch vor einiger Zeit wieder angeboten, mich in bestimmten Bereichen aktiv einzubringen.
Man bedankte sich freundlich. Das war`s dann.

Die Arbeit mit einem jungen Asylanten aus der Dritten Welt, dem ich unsere Sprache näherbrachte, überließ man mir gerne. Da der junge Mann ohne seine Familie hier lebt, lud ich in auch immer wieder mal zum Essen ein, hörte ihm zu, gab, wenn Du so willst, ein wenig "Vater-Ersatz". Ich appellierte in der Gemeinde, sich um den jungen Mann zu kümmern, ihn vielleicht auch einmal für ein Wochenende in eine Familie einzuladen. Vergeblich.

Man hat ihn hier getauft, als Christ in die Gemeinde aufgenommen. Damit hatte es sich. Meine Gemeinde ist mittelstands-orientiert.
Da gibt es ein deutliches Oben und Unten.

Einige sind immer und überall dabei. Andere bleiben außen vor, dürfen die Kulisse bilden. Wenn die Gemeinde ruft, erwartet man, dass alle kommen. Wenn sie gefordert sind, finden sie Gründe.

Weißt Du, und das dürfte bei euch Katholiken nicht anders sein, überall klagen sie, dass Menschen nicht mehr bereit sind, sich zu engagieren, einzubringen. Kommen dann aber Menschen, wollen mitmachen, dann stoßen sie schnell auf andere, die ihre Besitzstände verteidigen.

Das hat mich zermürbt, und ich kämpfe da auch mit meiner eigenen Verbitterung, manchmal auch mit Zorn.

Danke für deine Antwort.

Hans
 
Hallo Hans,
ich kenne das von der Kirche - die Worte sind groß, die Taten lassen zu wünschen übrig. Das war der Grund, weswegen ich aus der Kirche ausgetreten bin :-( Sich selbst darf man (möglichst) ehrenamtlich einbringen, aber braucht man selber Hilfe, wird man/frau alleine gelassen. Ich verstehe deine Verbitterung.
Ich weiß ja nicht, gibt es bei euch die Tafel oder eine ähnliche Einrichtung in der du helfen könntest? Dort werden doch immer ehrenamtliche Helfer gesucht. Da du eine pädagogische Ausbildung hast, kannst du doch auch mal im Asylantenheim schauen, ob du dort gebraucht wirst. Oder geh einfach in ein Altenheim, dort sind auch immer Menschen, die dankbar für Austausch sind.
Ich wünsche dir, dass du das findest, was du suchst.
Hortensie
 
Hallo Hortensie,

genau das ist das Problem: Ich kann und ich will man mir einfach nicht vorstellen, dass genau da, wo die Ansprüche so hoch, die Parolen so edel sind, die Taten oft so flach bleiben.
Den Vorschlag, mich in einem Seniorenheim zu engagieren, habe ich schon von meiner Schwester bekommen. Vielleicht nehme ich dies Idee wirklich mal auf. Im Übrigen startet nächste Woche unser SHG für bipolare Menschen.

Danke!

Hans
 
Eine Kirchengemeinde ist das eine. Aber grundsätzlich gibt es ja auch viele andere Organisationen, Gruppen oder dergleichen, mit denen du etwas unternehmen kannst.
 
Hallo Hans

Ich darf dir es aus meinem Inneren heraus beschreiben. War ich früher solo, so sehnte ich mich nach Partnerschaft, hatte ich Partnerschaft sehnte ich mich nach einem Sololeben.

Ich meine, jedes Leben hat seine Vor und Nachteile. Ich habe selber für mich die Erfahrung gemacht alles ist einfach, gleichzeitig ist nichts einfach. Hat man dies vermisst man jenes, hat man jenes will man später das nicht mehr.

Wenn du Ehepaare siehst die sich nachher verabredeten, siehst du nur die Verabredung, siehst du auch wenn das eine oder andere Paar danach streitet? Hast du es mal schon so betrachtet, dass viele davon dich beneiden könnten, denn du bist im Grunde dein eigener Herr.

Du bist sehr arrangiert. Jedoch bist du auf der Suche nach deinem besonderem Lebensinhalt. Ich bin selber so, manchesmal bin ich von einem Lebensinhalt übersättigt und suche dann nach einem anderem und finde den auch, ähnlich wie ein Update.

Ich versuche dabei eines nicht zu vergessen, in jeder Situation gibt es viele Vorteile. Vielleicht macht man in Situationen wo man teilweise nicht zufrieden ist den Fehler nur nach den Nachteilen zu suchen und vergisst seine Vorteile zu würdigen.

LG
Ritter Omlett
 
Hallo Ritter Omlett,

Du schreibst sehr einfühlsam, und deine Antworten zeigen mir, dass Du verstehst, was mich beschäftigt. Ich kämpfe da gerade an verschiedenen Stellen und ich fürchte ein wenig, dass ich mich damit in eine innere Gemengelage bringe, die mir abträglich ist.

Was eine mögliche, neue Partnerschaft angeht, bin ich sehr realistisch, oder Du kannst auch sagen, ich bin da sehr skeptisch. Ich kenne meine Fähigkeiten, weiß, dass ich einfühlsam bin und sensibel. Ein Macho bin ich schon gar nicht.

Andererseits habe ich meine Geschichte als Mann, als Ehemann und diese Erfahrungen trage ich in meinem imaginären Rucksack mit mir herum. Ich möchte mich nicht notgedrungen in eine Beziehung flüchten und schon gar nicht mit einer potentiellen Partnerin, die sich "nur" in einer vergleichbaren Situation befindet.

Ich möchte eine Partnerschaft und keine Lebensgemeinschaft. Die hatte ich viele Jahre. Dabei weiß ich sehr wohl um meine Handicaps: Behindert, finanziell keine attraktive Partie.
Das spielt sich vor allem in meinem Kopf ab, und vielleicht oder gar sehr wahrscheinlich transportiere ich diese Einstellung mehr oder weniger auch nach außen. Insofern stehe ich mir an diesem Punkt selbst im Weg, blockiere mich.

Im Grunde brauchte es eine Frau, die auf mich zukäme, um mich werbe.

Danke.

Hans
 
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@Hallo Hans

Leider ist man manchmal in einem Lebensabschnitt, wo sich alles verstrickt, fast so eine Art Knödel und nichts kann mehr fließen.
Selbstverständlich ist mir das nicht fremd und einiges kann ich von Ausarbeitungen von meinem Leben dazuschreiben.

Es ist eine Art Konflikt mit der Vergangenheit. Es ist eine Konflikt mit sich selbst. Ein besonderes Thema könnte dazu sein, die Vergangenheit anzunehmen und auch loszulassen.
Ich komme deshalb darauf, da du eine Passage beschreibst, du trägst den Rucksack mit dir herum, ich denke mir, genau dieser Rucksack macht es aus.

Eine Vergangenheit ist gelebt und kann sich nicht mehr ändern. Ändern jedoch kann sich die Einstellung zu deiner Vergangenheit.
Ich habe für mich selber festgestellt, dass ich Vergangenheit oft verschieden bewerte. Kann ich die Vergangenheit, meine Vergangenheit annehmen, unabhängig davon, wie sie gelaufen ist, entsteht eine gewisse Lockerheit, ein angenehmes Lebensgefühl oder ein besseres Lebensgefühl, das trifft es eher.
Wahrheit muss nicht immer schön sein, kann aber etwas sein, dass du mit Würde dir gegenüber in dir tragen kannst und dadurch sich dennoch gut anfühlt
Plötzlich ändert sich auch die Einstellung dazu. Dein Rucksack ist nun nur noch halb so voll oder noch leichter oder gar abgelegt.

Ich denke mir, dass du momentan viel Stress ausstrahlst, der nicht angenehm ist.
Lockerheit würde für mich bedeuten, soweit es mir überhaupt möglich ist in dich einzufühlen, ein zwangloses Zugehen auf die Zukunft.

Du beschreibst, ich möche eine Partnerschaft das klingt stressig. Das klingt nicht nach gemütlichem Kennenlernen, schöne Stunden miteinander verbringen und einfach betrachten was sich daraus entwickeln kann und welche eigene Welt man sich zusammen gestalten könnte nach und nach.

LG
Ritter Omlett
 
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