Rückblick und Bestandsaufnahme... Teil 1

Lamie

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18 Februar 2011
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Angefangen hat es mit meinem alkoholsüchtigen Vater, ein halbes Jahr, nachdem er zum erstenmal zulangte, zog ich mit 17 von Zuhause aus. Vorangegangen waren die üblichen Jahre, wenn die Trunksucht eine Familie nach und nach zerstört. Zwecks Ausbildung zog ich mit 21 allein in eine Großstadt - und wurde dort nach einem halben Jahr schwanger. Mit 25 begann ich in meiner Heimatstadt neben der Kleinkinderziehung eine Ausbildung zur Krankenschwester, die ich sogar erfolgreich abschließen konnte, nur fand' ich aufgrund eben der Kindererziehung anschließend keinen Job. Einige Jahre Sozialhilfe folgten, in denen mir mehr als deutlich bewusst wurde, wie schwer es in so einer Situation ist, den Anschluss ans Leben nicht zu verlieren, (sich) nicht einfach in die Hoffnungslosigkeit zu ergeben. Aber ich wollte es nochmal wissen und begann eine berufliche Umschulung - wieder in einer anderen Stadt - als mein Kind 11 war. Bereits während des ersten Grundschuljahres stellte sich das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom heraus, womit mein jahrelanger Kampf gegen Unwissenheit und Unwille bei Schulen und Lehrern begann. Als Alleinerziehende hatte ich jedoch nie wirklich eine Chance, auch nur das geringste Verständnis für mein Kind zu wecken, im Gegenteil. Es machte die übliche Laufbahn eines AD(H)S'lers durch und verließ mit 18 ohne Abschluss, aber fürs Leben gefrustet und verstört die Schule. In den folgenden Jahren konnte es den Hauptschulabschluss extern nachholen und fand letzten Herbst endlich, mit 21 Jahren, einen Ausbildungsplatz...
Diese Jahre haben sehr an mir gezehrt, welche Mutter kann es ertragen, ihr Kind leiden zu sehen - ohne ihm wirklich helfen zu können? Hinzu kam 2004 der relativ unerwartete Krebstod meiner Mutter, nach nur 6-monatigem Kampf. Bis dahin gab es diese Krankheit nicht in unserer Familie, sie war nie ein Thema und meine Mutter - die ich sehr liebte, die einfach ganz selbstverständlich vorhanden und irgendwie auch mein Ruhepol war - hätte so gern wenigstens noch ein paar schöne Jahre gehabt. Ich habe ihren Tod nie verwunden, geschweige denn verarbeitet. Ein paar Monate danach ergab ein Internet-Depressions-Test eine "Master-Depression". Ich war nie deshalb beim Arzt. Wie hätte er mir "helfen" können? Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Aber ich war seitdem nie mehr so richtig fröhlich, irgendwas war verschwunden.
2006 starb dann mein Vater in dem Pflegeheim, in das ihn seine Sucht gebracht hatte. Ich habe bis heute keine Gefühle dazu. Er hat zuviel kaputt gemacht. Mit dem leider aus finanziellen Gründen nötigen Verkauf meines Elternhauses, kehrte ich für immer meiner Heimatstadt den Rücken.
Im Dezember 2009 verlor' auch meine Tante (die letzte Schwester meiner Mutter), mit der ich viel Kontakt hatte, als mein Kind noch klein war, ihren Kampf - gegen den Krebs. Im Frühjahr 2010 musste sich mein Bruder einer Herz-Op unterziehen, der er zum Glück gut überstand. Er ist - neben meinem Kind - der einzige, der aus meiner näheren Familie noch da ist. So schnell steht man ohne Wurzeln da.
Ich habe etwa 20 Jahre lang keine Zeit und keinen Nerv für eine Beziehung gehabt, ich war tatsächlich die ganze Zeit ohne Partner, hatte keine Kraft dafür. In dieser Zeit nahm ich von ca. 80 kg mit etwa 22 J. auf 156 kg Höchstgewicht mit 42 J. zu. Und machte mir damit auf dieser langen, aber vergeblichen Suche nach jedem noch so kurzfristigen Wohlgefühl den Körper kaputt. Das Übergewicht allein reichte aus, mir jeden Gedanken an Liebe für dieses Leben aus dem Kopf zu schlagen. Zusätzlich war Geld immer knapp und auch nie genug für Führerschein und Auto übrig. Also immer alles trotz mittlerweile hohem Übergewicht zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt, das ist bis heute so. Woher sollte ich Kraft und Zeit nehmen - für Zweisamkeit...?
 
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Rückblick und Bestandsaufnahme... Teil 2

Vor zwei Jahren fing ich an, mich an mich selbst zu erinnern. Ich wollte zumindest wieder Kontakt zu anderen Menschen und meldete mich in einer Community an, um mich im Forum zu unterhalten. Nach nur zwei Tagen wurde ich von einem Mann gefunden. Ich hätte die Anmeldung damals lassen sollen, seitdem geht irgendwie gar nichts mehr.
Wir schrieben uns, per Mail, per Messenger, wir telefonierten und sahen uns über die Webcam - er wohnt 400 km weit entfernt. Von Anfang an ließ er keinen Zweifel daran, dass ihm die Entfernung zu weit sei. Aber er konnte mich auch nicht gehen lassen, suchte immer wieder Kontakt, ließ diesen aber zwischenzeitlich immer länger ruhen. Am Anfang war noch nichts bei mir. Mit den Wochen jedoch merkte ich, dass ich mich verliebt hatte. Wir verstanden uns, den Humor und das Wesen des anderen sehr gut, es stand eigentlich immer nur die Entfernung dazwischen. Er zog sich im Laufe des Jahres 2009 immer mehr zurück, der Kontakt schlief fast völlig ein - und ich merkte...dass ich ihn liebte...
Ja, ich weiß. Es ist quatsch, das kann nicht sein, so etwas gibt es nicht - seine Worte und auch die anderer. "Nur übers Internet, ohne sich jemals in real gesehen zu haben, kann man nicht lieben." Aber die Gefühle waren und sind nunmal, wie sie sind. Weder habe ich sie anschalten, noch abschalten können. Sie waren auf einmal einfach da, woher sie auch immer kamen. Wenn ich an diesen Mann denke - der mir wortwörtlich sagte, er würde nicht mehr schreiben, nichts mehr sagen, nichts mehr tun, damit ich ihn vergessen könne und ich solle mir doch in meiner Nähe jemanden suchen - ist da nur tiefstes Vertrauen, Wärme und...Daheim... Mit ihm umzugehen, an ihn zu denken, mir seiner bewusst zu sein - es ist einfach selbstverständlich, als wenn es schon immer so war, als wenn es sich so gehört...
Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber ich bekomme ihn seit mittlerweile 2 Jahren nicht mehr aus Kopf und Herz. Der Kontakt ist so gut wie eingeschlafen, alle paar Monate mal ein paar gewechselte Worte per Mail. Und meine Gefühle sind so stark, wie nie zuvor.

Seit Anfang November letztes Jahr befinde ich mich in so etwas Ähnlichem, wie eine Beziehung. Ein Kollege hat näheres Interesse bekundet und ich war - in der Hoffnung den anderen endlich vergessen zu können - nicht abgeneigt. Er ist ein lieber Kerl, ein guter Mensch, ich bin ehrlich verliebt - aber ich zweifle, ob wir wirklich zusammenpassen. Nein. Ich zweifle, ob ich überhaupt beziehungsfähig bin. Ich kenne das ja nicht und bin in 20 einsamen Jahren wohl auch ziemlich eigen geworden. Denke ich. Mein Freund ist mir zwar nicht unähnlich, aber er kann sich trotzdem nicht in mich hineinversetzen, versteht vieles, was ich sage und tue falsch. Er stellt verständlicherweise gewisse Erwartungen an mich - die ich aber meist nur als Druck und Belastung wahrnehme. Und dann, ist da natürlich noch das Problem, dass ich solch tiefe Gefühle, wie für den anderen - nicht auch für meinen Freund aufbringen kann. Für niemand anderes wird das je möglich sein. Mein Freund ist lieb und bemüht - aber ich bin nicht glücklich. Weil etwas irgendwie nicht richtig ist...

Für die Ausbildung meines Kindes bin ich jetzt Mitte Dezember in einen Nachbarort gezogen, ohne Führerschein war die Ausbildungsstelle kaum zu erreichen. Für diesen Umzug habe ich allein zwei Wohnungen renovieren müssen und meinem Körper damit wohl den Rest gegeben. Selbstüberschätzung vom Feinsten. Heute bin ich einfach nur noch erschöpft, alles tut immer überall weh, kein Tag, keine Bewegung ohne Schmerzmittel. Habe gerade 2 Wochen Ausruhurlaub gehabt, wirklich viel hat der nicht gebracht. Ich merke, wie mich jegliche noch so kleine Anforderung einem kolossalen Druck aussetzt. Ich schaffe nichts mehr, kann mich zu nichts mehr aufraffen, möchte nur noch sitzen und meine Ruhe haben. Die Vorstellung, jetzt noch ca. 2,5 Jahre hier festzusitzen, in dieser Gesamtsituation (der Herzschmerz, Wohnung im 2. Stock, das Kommen und Gehen eine Qual, das Kind braucht immer noch Motivation und Unterstützung, Arbeitsplatz ist leider aufgrund unsozialem Umganges dort auch nicht erbaulich) - gefangen zu sein, lähmt mich regelrecht. Das "Weg"-Gefühl war noch nie so stark und ich weiß im Moment nicht, wie ich es unter Kontrolle halten soll.
Dann hat sich mein zwischenmenschliches Problem mal wieder - nur kurz - sehen lassen und mich damit völlig aus der Spur befördert. Die Tränen sitzen zur Zeit ziemlich locker, ich zergrüble mir 24 Std. am Tag den Kopf - und finde doch keinen (Aus-)Weg. Nur Chaos ist da. Im Kopf, um mich herum - ist mein Leben.

So. Ist viel geworden, tut mir leid. Und jetzt weiß ich immer noch nicht, warum ich davon erzähle, erleichtern tut es im Moment nicht wirklich. Werde darüber grübeln.

Wünsche allen für morgen einen schönen Sonntag.
 
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AW: Rückblick und Bestandsaufnahme... Teil 1

Liebe Lamie,
ich hab mir Deine Geschichte heut morgen durchgelesen wie einen Kurzroman und ich muss sagen, er ist ansteckend,so, dass ich mich auch grad schlecht fühle, aber Gottseidank mit einem Gedanken sofort wieder in meine Welt zurück kann.....:)
Du beschreibst Deine Situation mit einer Klarheit und Offenheit die mich fast erstaunt, soviel Lebenserfahrung und Klare Sicht über einige Dinge, da kann es fast nur noch besser werden.....auf jeden Fall wünsche ich es Dir und ich finde es Klasse wie Du sortiert hast und es in solch gelungener Form hier reingeschrieben hast, auch wenn ich z.B. nicht wüsste wie ich Dir helfen könnte.....so wünsche ich Dir von Herzen einen gesegneten Sonntag mit einem Sonnenstrahl im Herzen wo es nie ganz dunkel wird auch in den wildesten Lebensstürmen nicht....


Deinen Signaturspruch finde ich absolut Top..
 
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