Hallo Clara,
Mir ist aufgefallen, dass es darin weder um den Eintrag des toten Kindes beim Standesamt geht, noch um das Wunder, dass ein sehr krankes Ungeborenes mit schweren Organschäden durch Zuwendung plötzlich wieder gesund geworden ist. Auch die Aussage der Ärztin stehen gar nicht im Vordergrund.
Ich frage mich wirklich wie du darauf kommen konntest.
Weil es da steht:
„Das Thema wird völlig tabuisiert“. Und das, obwohl in Deutschland 2017 dem Statistischen Bundesamt zufolge mehr als 3000 Kinder tot zur Welt kamen. In diese Statistik fließen nur Kinder mit mehr als 500 Gramm Geburtsgewicht ein. Erst seit Mai 2013 können Eltern ein Kind, das weniger wiegt, beim Standesamt eintragen lassen, mit Namen, Geburtstag und -ort. Für viele Eltern ist das wichtig, um den Verlust zu verarbeiten.
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Beizeiten wollen die Kämpers ihm von seiner Schwester erzählen. Von Lilli, die für die beiden zur Familie dazugehört. „Konrad ist unser erster Sohn“, sagen sie ganz selbstverständlich, „aber unser zweites Kind.“
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Beizeiten wollen die Kämpers ihm von seiner Schwester erzählen. Von Lilli, die für die beiden zur Familie dazugehört. „Konrad ist unser erster Sohn“, sagen sie ganz selbstverständlich, „aber unser zweites Kind.“
Die Sache mit dem Standesamt kannte ich schon aus andere Berichte. Hier steht auch dass es für Eltern wichtig ist. In wie fern das diesen Eltern wichtig ist, ist undeutlich. Jedenfalls ist es für sie wichtig dass Lilli ihr Kind ist. Also dass es kein Tabu sein soll, was, wie im Beitrag steht, die Norm ist. Der Beitrag handelt viel weniger über die Standesamt Sache als ich mich erinnerte, aber trotzdem tut es das, als Teil von dem Anliegen das Tabu zu durchbrechen. Wenn es für Eltern wichtig ist dass ihr Kind anerkannt wird, muss es ihnen weh tun, dass sie für die Statistik nicht als tot geboren gelten. Nicht weil sie nicht tot sind, sondern weil sie nicht als Mensch anerkannt werden. Der Beitrag hält dies also für falsch.
Auch steht da, dass die Eltern sich Hoffnungen machten:
Die Zeit nach der Diagnose, dass Lilli wahrscheinlich sterben wird
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Bald ist für die beiden klar: Sie wollen den Weg mit ihrer Tochter bis zum Ende gehen. Vielleicht, so hoffen sie, nutzt Lilli ja ihre winzige Chance.
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In den ersten Stunden des 10. Februar 2017 stirbt Lilli. Abends hatten die Eltern ihr noch aus Janoschs „Ich mach dich gesund, sagte der Bär“ vorgelesen. Am nächsten Tag haben beide kein gutes Gefühl.
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Bald ist für die beiden klar: Sie wollen den Weg mit ihrer Tochter bis zum Ende gehen. Vielleicht, so hoffen sie, nutzt Lilli ja ihre winzige Chance.
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In den ersten Stunden des 10. Februar 2017 stirbt Lilli. Abends hatten die Eltern ihr noch aus Janoschs „Ich mach dich gesund, sagte der Bär“ vorgelesen. Am nächsten Tag haben beide kein gutes Gefühl.
Also ja, da wurde von dem Wunder gesprochen, dass ein Ungeborenes dem
schwere Organschäden diagnostiziert waren plötzlich normal geworden ist.
Nämlich in der Hoffnung der Eltern. Und 'durch Zuwendung' habe ich nie
behauptet. Und ich siehe darin kein unmögliches Wunder, sondern eine
mögliche Fehldiagnose. Obwohl sehr selten, kommt das nämlich tatsächlich
schon mal vor. Es ist also nicht unmöglich dass ein 'nicht-lebensfähiges
Kind' dann lebt. Weil 'nicht-lebensfähig' nie ein sein ist, sondern immer
eine Diagnose gemacht durch Menschen.
Und das kann ein Grund sein für Eltern um keine Abtreibung zu wollen.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit behütet eine Abtreibung das Kind vor
lang anhaltenden schlimmen Schmerzen. Aber es wäre möglich dass man ein
ziemlich gesundes Kind tötet. Eine schreckliche Entscheidung. Für mich
wäre das Erste wichtiger. Das Behüten vor lang anhaltenden schlimmen
Schmerzen. Für diese Eltern war es aber eine ganz andere Möglichkeit.
Sie wollten dass das Kind sich in ihr kurzes Leben geliebt fühlen wurde.
Davon weiss ich persönlich etwas. Ich war als Kind öfters krank mit
höllischen Schmerzen. Mein Mutter versorgte mich dann liebevoll. Das
änderte aber gar nichts an den höllischen Schmerzen und machte mich auch
nicht glücklicher. Es gab mich nicht der da glücklicher hätte sein können,
es gab nur Schmerz. Der Glaube dass Liebe alles überwindet ist absurd.
Meine Mutter hat mir das dann verübelt und mich für kaltherzig gehalten.
Wenn ich warmherzig wäre, hätte ich ihre Liebe angenommen, meinte sie.
Diese Erwartung hätte ich nur gerecht sein können indem die Schmerzen mir
nicht mehr wichtig gewesen wären. Aber die waren zu stark dazu.
Also aus meiner Erfahrung heraus sehe ich da ein Kind mit total kaputtem
Körper das deswegen höllische Schmerzen hat und es wird liebevoll vorgelesen
und das Kind leidet dadurch nur noch länger. Dafür wird mir natürlich jeder
für kaltherzig halten, weil wenn Menschen etwas gut meinen, man keine
negativen Konsequenzen ihres Handelns sehen darf.
Um also ein akzeptablerer Mensch zu sein, habe ich mich stattdessen
in die Eltern eingelebt. Und dann habe ich das sogar als rührend erlebt.
Dann sagt der Beitrag dass das Kind Lilli gestorben war, aber die Eltern
wussten das zur der Zeit noch nicht, die hatten nur kein gutes Gefühl.
Wenn sie wie mich wären, hätten sie ein gutes Gefühl sobald das Leid des
Kindes vorbei war, aber sie hatten kein gutes Gefühl, weil sie den Tot
das Kindes noch gar nicht wahr haben wollten, aber keine Bewegung mehr
spürten. Wenn ich die Ärztin wäre und ich würde den Eltern ankündigen
dass ihr Baby tot war, indem ich sagte `Ihr Baby hat es geschafft',
dann würde ich damit meinen dass das Leid des Kindes endlich vorbei war,
was sie unnötig verlängert hätten. Aber das würde ich nie hinterher sagen.
Schuld zuschreiben verbessert nichts. Vorher auf sie einreden könnte
etwas verbessern, aber nachher ist nur gemein. Aber so gemein könnte
der Beitrag gar nicht sein, und dann habe ich gedacht, vielleicht hat das
Kind dann doch überlebt, wobei ich dem Moment verdrängt hatte dass ich ja
schon wusste dass es tot war. Das dauerte nur einige Sekunden. Dann
stellte ich fest dass auch die Eltern dass nicht als gemein empfunden
haben, und ich verstehe nicht wie so. Wenn man im Rückblick sagt, dass
das Baby es geschafft hätte, ist es was ganz Anderes. Inzwischen haben
die Eltern den Tot des Kindes akzeptiert. Im Rückblick ist es immer
Trostreich zu glauben das es gekommen ist wie es kommen musste. Aber bei der
Ankündigung ist das noch nicht so. Für die Eltern war das Kind im Bauch tot
und lebend zugleich, weil sie die Wahrheit darüber nicht kennen konnten.
So wie bei Schrödingers Katze aus der Quantenmechanik. Und dann hören sie
die Wahrheit und das ändert alles schlagartig in ihrem Kopf. Wie der Kollaps
der Wellenfunktion aus der Quantenmechanik, aber da soll das dann im echt
sein. Aber es geht mir um 'Kollaps'. Es gibt einen Kollaps von die Welt der
Möglichkeiten zur einer Wahrheit. Im Kopf. Und das kann sehr schwer sein.
Da muss man vorsichtig mit umgehen.
In einem ihrer Bücher erzählt die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross – Wikipedia
von einer jungen Frau die mit ihrem 6-jährigen auf dem Arm beim Krankenhaus
fragt wo sich melden sollte, sie hätte einen Bericht bekommen dass ihr Mann
einen Unfall gehabt hätte. Die Frau vom Krankenhaus überreichte ihr dann
schnell ein Blatt Papier mit den Worten: `Können sie hier bitte
unterschreiben, dass wir die Leiche ihres Mannes abgeben dürfen?'
Da sie noch nicht wusste dass ihr Mann tot war, wurde das zur Ankündigung des
Todes. Elisabeth Kübler-Ross meint dazu, dass diese Form der Ankündigung an
sich, ganz abgesehen vom Tot des Lebensgefährten die Trauerphase um 6 Jahre
verlängert. Später im Leben ist Elisabeth Kübler-Ross der Esoterik verfallen,
aber ich lege doch wert auf was sie davor gesagt hatte als Psychiaterin.
Aber die Eltern im Beitrag wussten ja dass ihr Baby kaum Chancen hatte. Also
vielleicht kann man in dem Fall von nicht-wahr-haben-wollen sofort
überwechseln in es-ist-gekommen-wie-es-kommen-musste. Aber kann man sicher
sein dass jeder das so tut? Oder erwartet man eben dass jeder das tun müsste
und wer das nicht tut ist eben ein Versager und schuld ein seiner eigenen
Trauer? Oder ist da noch was ganz Anderes was ich nicht sehe?
Liebe Grüsse,
Ralti
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