Erwachsen werden...
...ist bestimmt nicht leicht.
Ich weiß nicht, wie alt Du bist, Natao. Aber Deine Situation kann ich gut nachvollziehen.
Ich bin mit meiner Mutter aufgewachsen, mein Vater wollte lieber einen Jungen, deshalb hat er mich abgelehnt.
Auch meine Mutter war eine schwache, hilflose Frau - dachte ich immer.
Wir beide lebten in einem zermürbenden Stellungskrieg. Mit ihrer Jammerei hat sie mich fast in den Wahnsinn getrieben, machte mir Schuldgefühle und brachte mich auf die Palme. Sie tat alles für mich, machte mich unselbständig und abhängig. Ohne Selbstwertgefühl, denn ich war schließlich die Tochter meines schrecklichen Vaters.
Miteinander sprechen war nicht möglich, weil es jedesmal ein Fiasko wurde, mit Türen knallen und ich will dich nie mehr wiedersehen.
Täglich rief sie mich an, nur um zu fragen, was ich grade tue. Es kotzte mich alles nur noch an.
Doch dann bekam sie eine schreckliche Depression, kam in die Psychiatrie, griff sogar eine Mitpatientin an und wurde in die Geschlossene gesteckt.
Da plötzlich war meine Mutter nicht mehr meine Mutter, sondern mein Kind. Ich musste die Rollen wechseln. Sie war jetzt wirklich hilflos, weinte viel und schämte sich furchtbar.
Als sie dann entlassen wurde, hatten wir unser erstes richtiges Gespräch, in dem ich ihr alles sagen konnte, was ich seit 40 Jahren in mir trug.
Ich habe dabei eines gelernt: Auch die Mutter hat ihre Geschichte, ihre Entwicklung, ihre Ängste. Sie ist das Produkt ihrer Eltern und deren Geschichte.
Außerdem, ihre vermeintliche Schwäche war in Wirklichkeit ihre Stärke. Mit ihrer Hilflosigkeit konnte sie mich wunderbar manipulieren und dahin bringen, wo sie mich haben wollte.
Sie wollte mich plötzlich immer umarmen. Das hatte sie noch nie getan. Es fiel mir so schwer. Aber ich tat es, weil ich sah, dass sie vieles wieder gut machen wollte. Ich gab ihr die Chance dazu, brachte mehr Verständnis für ihre Macken auf und zeigte ihr auch klare Grenzen auf.
Ich glaubte, mich von ihr gelöst zu haben. Dachte, ich wäre endlich erwachsen und selbständig. Nein, das war ich immer noch nicht.
5 Jahre hatten wir, um unser Verhältnis zu harmonisieren. Sie war 81, als sie plötzlich starb, obwohl ich immer dachte, sie müsse ewig leben.
Als ich vor ihrem Sarg saß, fühlte ich mich so allein und einsam, wie niemals vorher.
Die Zeit danach wartete ich täglich auf ihren Anruf mit der blöden Frage, "Was machst du grade?" Aber so sehr diese Anrufe mich genervt hatten, so sehr vermisste ich sie nun.
Und - ich war plötzlich kein Kind mehr, ich war erwachsen. 43 Jahre lang war ich gegängelt und abhängig. Jetzt war ich allein.
Jetzt ist sie 8 Jahre tot, aber sie ist mir so nah, wie niemals zuvor. Und ich vermisse sie schrecklich. Sie hätte mir noch soviele Antworten geben können.
Mittlerweile bin ich in der gleichen Situation, als Mutter.
Jetzt kann ich meine Mutter sehr gut verstehen und ich habe ihr alles verziehen, denn sie war nun mal auch in ihrer Rolle gefangen. Und ich habe erkannt, was sie wirklich alles geleistet und für mich getan hat. Ich habe mit ihr meinen Frieden gemacht, leider erst nach ihrem Tod. Ich wünschte, es wäre vorher passiert.
Räumliche Trennung kann manchmal schon sehr hilfreich sein, aber das Band zwischen Mutter und Tochter ( ich denke Du bist weiblich?), geht über Kontinente. Die Macht der Mütter ist manchmal schrecklich. Leider wissen sie es nicht, oder wollen es nicht wahr haben.
Aber man muss ehrlich miteinander reden. Seine Gefühle offenbaren und Wünsche und Erwartungen äußern. Sonst sind Missverständnisse nicht auszuräumen.
Du bist für Deine Eltern nicht verantwortlich. Konzentrier Dich auf Dein Leben.
Sag Deiner Mutter unmissverständlich, was Du von ihr willst und was Dich stört. Ich denke, sie will Dich nicht auch noch verlieren. Weiß aber nicht, wie sie Dich halten kann. Sie kann es nicht und das ahnt sie. Sie ist hilflos und verstört. Ihr Leben ist bestimmt nicht so verlaufen, wie sie sich das gewünscht hat und kann damit nicht umgehen. Aber das ist ihr Weg, den sie gehen muss. Du hast Deinen eigenen.
Ich kann Dir ein Buch ans Herz legen, das Dich vielleicht ein bisschen mit ihr versöhnt und Dir einen Weg zeigt: Von Amy Tan "Töchter des Himmels".
Alles Gute
Dawn