so viele begriffe durcheinandergemischt...
Birgt das Leid wirkliche, authentische Kunst?
ich lass mal beiseite, was unwirkliche kunst wohl wäre... es ist nach meiner erfahrung so, dass fast ausnahmslos alle künstler auch leidende menschen sind. das heißt aber noch lange nicht, dass das leid selber die kunst birgt... kunst ist - je nachdem - das ergebnis eines künstlerischen prozesses oder der prozess selbst. leid ist dafür keine zwingende voraussetzung, aber sehr oft ein auslöser.
roli, wahre kunst ist ein faschistischer begriff ... die haben dann alles andere, was sie als entartete kunst abgewertet haben, verbrannt und meistens die künstler gleich mit. die funktion, "den geist in höhere sphären zu erheben", ist auch nicht ein kriterium dafür, ob etwas kunst ist oder nicht. das versuchen eher die kunsthandwerker als produzenten von devotionalienkitsch.
ein künstler ist in dem maße authentisch, in dem er zwischen seiner (ein)sicht der welt und seinem ausdruckspotenzial eine gerade linie zu spannen vermag, ohne sie von kommerziellen oder "was mag wohl mein publikunm dazu sagen"-erwägungen verbiegen zu lassen. ideologen wollen "etwas" ausdrücken (kunst, die vor den politischen oder religiösen karren gespannt wird, z.b. sozialistischer realismus), künstler drücken sich aus.
allein die individualität der künstler bedingt schon oft ihr leiden - es gelingt ihnen nicht, die welt so zu sehen wie die mehrheit, sie leben und erleben anders und erhalten ihre andersartigkeit zurückgespiegelt, was selten ein vergnügen ist. gegenüber dem "durchschnitt" erhöhte sensibilität kommt fast immer dazu, was das leiden vertieft und die freude erhöht... auch in der überschäumenden freude sind die künstler ja oft "auffällig".
kreativität ist nun wieder etwas anderes... kreativität ist die fähigkeit, auf herausforderungen schöpferisch zu reagieren, also nicht x-fach bewährte rezepte anzuwenden, sondern individuell der herausforderung angemessene antworten zu entwickeln. das kann in der wirtschaft ebenso gefragt sein wie im fußball, in der psychotherapie ebenso wie in der kunst.
kreativität kann auch erlernt werden (und etliche trainer verdienen nicht schlecht damit) ... es geht um das "entlernen" von eingeschliffenen bahnen und um das erkennen und umgehen von blockaden, die dem kreativen im weg stehen. was wohl nicht erlernt werden kann, ist das genie... kreativität selbst ist so trainierbar wie die grundlagenausdauer des herz-kreislauf-systems.
besonders leidend sind menschen, die an sich künstlerisches potenzial hätten, aber aus irgendwelchen gründen in ihrer kreativität blockiert sind ... das sind künstler ohne kunstwerke, rufe ohne echo, überdruck ohne ventil.
zahlreich sind hingegen jene, die kreativ fließen lassen, was ihnen an künstlerischem potenzial fehlt... peinliche hobbymaler-ausstellungen, gartenzwerg-galerien, primanerlyrik etc. ... nett als hobby, aber weit weg von kunst. da leiden dann eher die anderen, das publikum...
die entscheidung, als künstler zu leben (und das ist sicher eine grundlegende lebensentscheidung), ist eine entscheidung, die die bereitschaft zu leiden einschließt. niki de st. phalle, eine der bedeutendsten künstlerinnen des 20. jahrhunderts, sagt: "ich musste mich entscheiden ... wollte ich terroristin werden oder terroristin in der kunst?"
kunst hat sicher sehr viel mit dem leiden zu tun... aber sie ist nicht im leiden geborgen, sie ist wohl eher eine lebensweise, das leiden zu ertragen.
und weil unweigerlich auch die frage nach der qualität gestellt wird, was denn nun "wirklich" kunst wäre und was nicht... da empfehle ich das buch "zen und die kunst, ein motorrad zu warten" von robert pirsig. das gibt auch keine antworten, aber es stellt viele gute fragen und erzählt lehrreiche geschichten zu dem thema.
alles liebe, jake