Fortsetzung eines Corona-Tagebuchs

Michael89

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Sonntag, 12.12.2021

Letztes Jahr um diese Zeit gab es an meiner Uni noch ein Corona-Forum, das aber dann im Februar 2021 eingestellt wurde. Ich habe dort auch regelmäßig reingeschrieben, vor allem weil es anonym war und ich einfach mal so erzählen konnte, ohne darauf achten zu müssen, was jetzt zu privat zum teilen ist und was unwichtig oder uncool ist. Jetzt also hier mal eine Fortsetzung.

Im Herbst 2019, das war noch vor Corona, brauchte ich damals für die Uni ein Attest vom Psychiater. Es ging mir auch schon länger nicht gut. Vor allem hatte ich sehr starke Angst vor dem Professor, bei dem ich meine Abschlussarbeit schreiben wollte. Ich hatte also die ersten Untersuchungen beim Psychiater, der dann eine Angststörung und Persönlichkeitsakzentuierungen diagnostiziert hat. Gegen die Angststörung wurden mir Antidepressiva verschrieben, die wir nach einiger Zeit steigern mussten. So bin ich momentan noch bei täglich 75 mg Anafranil, was schon eine ordentliche Dosis Antidepressiva ist. Zusätzlich dazu wurde mir zu einer Psychotherapie geraten. So ca. vor zwei Jahren hatte ich meine ersten Sitzungen. Ich bin auch regelmäßig zu den Sitzungen gegangen und ich bin auch immer gerne zu den Sitzungen gegangen. Ich habe jetzt 77 Sitzungen hinter mir und wir haben geplant 85 Sitzungen zu machen, das ist ja auch nicht gerade wenig. Letztendlich mit dem Ziel, dass ich mein Studium abschließen konnte. Damit bin ich jetzt dann auch fertig und ein neuer Lebensabschnitt steht an. Zur Zeit sammle ich mich etwas, überlege was ich zurück lasse, was ich mitnehmen soll. Es ist momentan schon eine wirklich sau blöde Zeit mit Corona.
 
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Sitzung 78 (Dienstag, 14.12.2021)

  • Die Psychologin hat gefragt, wie es mir so geht. Ich hab gesagt, dass ich es gerade nicht so weiß, aber dass es mir eher gut geht
  • habe erzählt, dass das Thema der letzten Sitzung noch stark in mir resoniert hat (Affäre oder Beziehung); habe dann gesagt, dass ich die Beziehung eh nicht kontrollieren kann, dass es eben kommt, wie es kommen muss
  • Ich habe gesagt, dass wir langsam an’s Ende der Therapie kommen und dass ich Angst habe, dass wenn die Therapie vorbei ist, dass es mir dann wieder schlechter geht
  • Die Psychologin meinte, dass wir noch ein paar Sitzungen hätten und man zur Not auch auf Selbstzahlungsbasis z. B. eine Sitzung im Monat weiter machen könnte
  • habe jetzt ca. einen Monat Bewerbungsphase hinter mir: Bewerbungsphasen dauern oft länger, soll mir mehr Zeit eingestehen
  • Habe erzählt, dass ich jetzt mit den Jobbörsen konkretere Jobs finde, dass man da sie Suchmaschine mit entsprechenden Begriffen füttern muss
  • habe erzählt, dass mir aufgefallen ist, dass der Berufsbereich mit dem Beziehungsbereich immer noch zusammenfallen würde (wenn es im Beruflichen nicht läuft z. B. bei den Bewerbungen, dann wirkt sich das auch negativ auf die Beziehung aus)
  • irgendwann musste ich während der Sitzung zu Weinen anfangen
  • habe erzählt, dass ich von einer Personalvermittlungsagentur angerufen wurde und dabei gefragt wurde, ob ich bereits wäre zu pendeln oder umzuziehen; habe gesagt, dass sich das bei mir geändert habe, dass ich jetzt nicht mehr ortsgebunden sei
  • Die Psychologin meinte, dass das meine Chancen, einen Job zu finden, deutlich vergrößern würde, dass der heutige Arbeitsmarkt eine größere Flexibilität verlangen würde
  • habe gesagt, dass ich nach meiner Schulzeit fest davon ausgegangen sei, dass ich ihm Musikbereich arbeiten würde
  • Die Psychologin hat gefragt, ob ich noch für mich Gitarre spielen würde; ich habe gesagt, dass es mir keinen Spaß mehr machen würde
  • habe erzählt, dass ich von der Agentur für Arbeit Bewerbungsaufforderungen bekommen habe: Die Psychologin meinte, dass sie das interessant finde
  • Die Psychologin meinte, dass es auch in eher ländlichen Regionen Jobs gebe, die aufgrund ihrer Ländlichkeit nicht so attraktiv sind, dass man z. B. auch unter der Woche in einem ein Zimmer Appartement wohnen könnte und dann am Wochenende woanders zusammen mit seinem Partner leben könnte
  • Die Psychologin meinte, dass das gut sei, dass ich am Vormittag nach Stellen suchen würde
  • Die Psychologin meinte, dass sich bandtechnisch bei mir wieder etwas ergeben könnte
  • am Schluss habe ich gesagt, dass ich glaube, dass Psychotherapie das ist: man hört mit den schönen Sachen auf und lernt dann damit umzugehen
  • Die Psychologin meinte, dass ich gut für sorgen solle, dass ich Sachen machen solle, die mir gut tun; ich erzähle vom Punschtrinken (coronakonform draußen), das eine Bekannte organisiert
 
Wenn ich an die letzten Jahre an die Woche vor Weihnachten zurückdenke, da muss ich immer an zwei Sachen denken, die ich jedes Jahr in meinem Terminkalender fest eingeplant hatte:
Das ist zum einen eine Projektband, die sich jährlich in der Woche vor Weihnachten vereinigt, um im Jugendzentrum der Stadt am 25.12. jährlich ein Konzert zu geben mit den Lieblingssongs der Mitglieder. Aber dieses und schon letztes Jahr auch nicht.
Das Reizvolle an diesen Spaßkonzerten war nicht die Perfektion der Darbietungen, sondern eher das Warten der Zuhörer auf die ersten Patzer und Verspieler, sowie der Zwischenrufe („fangt’s endlich an!“), da das Publikum auch jährlich und treu aus dem anfeuernden Freundeskreis der Mitspieler bestand.
Die Tradition dieser Konzerte führt zurück bis in die 1990er, natürlich mit einer sich ändernden Zusammensetzung der Mitspieler über die Jahre hinweg, was natürlich auch immer reizend war, weil man immer gar nicht wusste, mit wem man denn im nächsten Jahr wieder zusammenspielen würde.
Zusammengehalten wird die Truppe immer von unserem wahrhaften „Musical Director“ (einer von den musikalischten Menschen, die ich kenne), der auch immer durch seinen unendlichen Humor die Band aus den tiefsten Stimmungstiefpunkten herausholen konnte, meistens, indem er die Interpreten, mit denen wir uns in dieser Probephase beschäftigten, kräftig durch den Kakao zog. Ganz abgesehen davon, dass die Mitglieder gar nicht mehr so jugendlich sind („Jugendzentrum“), sondern meistens das 30. Lebensjahr schon überschritten haben. In den ersten Jahren, wo ich mitgespielt habe, hatten wir auch noch freien Zugang zum Getränkekeller und unsere Getränke wurden dann mit den Konzerteinnahmen anhand einer Strichliste verrechnet, wobei die Strichliste für’s Bier meistens mehrzeilig war. Und so kam es auch dazu, dass irgendwann mal diese Liste verschwunden war und die Freunde der Freunde und sonstige Freibierlätschen sich des Biervorrates bedienten, was zur Folge hatte, dass bei dem Konzert am 25.12. einmal das Bier ausgegangen ist. Letztes Jahr hatten wir nur einen stark kontingentierten Getränkevorrat, wodurch sich auch auf einmal nicht mehr so viel Volk im Probekeller tummelte.
Mein erstes Konzert war 2014 und ich erinnere mich an die letzten Jahre, in denen ich in der Woche vor Weihnachten dadurch auch immer etwas k.o. war von den langen Probenabenden. Der einzige Abend, an dem nicht geprobt wurde, war der 24.12.
Dabei gibt es auch zwei wichtige Regeln: ein Song darf niemals zwei Mal gespielt werden und die Probenwoche darf frühestens eine Woche vor Weihnachten beginnen.
Das alles kann dieses Jahr wegen Corona auch wieder nicht stattfinden. Ebenso auch nicht das jährliche Klassentreffen am 23.12. auf dem benachbarten Christkindlmarkt, der sich in unmittelbarer Nähe zum Jugendzentrum befindet, zu dem ich auch fast jedes Jahr vor Probenbeginn einen Abstecher gemacht habe, um mit meinen ehemaligen Mitschülern über das zu plaudern, was sich das Jahr über so ereignet hat.
Auch führte mich mein Nachhauseweg mit dem Fahrrad von den Proben immer am bereits geschlossenen, aber noch beleuchteten Christkindlmarkt vorbei, was nachts zwischen ein und zwei Uhr immer eine geheimnisvolle Atmosphäre hat.
 
Mittwoch, 29.12.2021

Weihnachten war eigentlich ganz schön. Meine Freundin ist erst am 23.12. zurückgekommen. Am 24.12. gab es dann Abendessen und anschließende Bescherung mit meiner Freundin und deren Eltern. Am 25.12. gab es bei der Oma von meiner Freundin noch eine Weihnachtsgans. Kurze Aufregung gab es, als ich mit halbvollem Mund sagte, dass die Gans schön zart sei und sich das mit halbvollem Mund so anhörte wie, „dass sie ganz schön zaach (bayerisch für zäh) sei“. Aber das Missverständnis war schnell aufgeklärt.

Heute Vormittag hatte ich ein Zoom-Meeting mit jemandem, der mich in meinen neuen 450 € Job einarbeitet. Wir haben das besprochen und uns angeschaut, was dieser mir letztes Mal gezeigt hatte, was ich mal selber ausprobieren sollte. Es ging darum Artikel von einem Magazin für eine App abrufbar zu machen. Das hat eher mal nicht geklappt, es gab viel zum Nachbessern, das hat mich sehr frustriert. Es wurden mir heute auch wieder viele andere Sachen dabei gezeigt, was es alles zu beachten gibt usw. Irgendwann hab ich mich total überfordert gefühlt und ich zweifle daran, ob mir das wirklich gut tut.

Ende 2019, noch kurz vor Corona, hatte ich mich entschlossen mein Studium noch fertig durchzuziehen. Es ging damals nur noch darum zwei Kurse zu bestehen. Hätte ich damals gewusst, dass ich nach zwei Jahren Psychotherapie das Studium immer noch nicht abschließen konnte, dann hätte ich das nicht gemacht. Im Nachhinein betrachte ich das als falsche Entscheidung, zwar gut gemeint, aber ich hätte doch auf mein Bauchgefühl hören sollen und da das Studium endgültig abbrechen sollen, v. a. weil ich nicht sehe, dass es mich wirklich beruflich weiterbringt. Nach zwei Jahren Psychotherapie muss es mir besser gehen, ich bin wirklich sehr unzufrieden. Weil dafür ist das zu teuer, ich sehe auch die Rechnungen regelmäßig, weil ich privat krankenversichert bin. Eine Therapie, an deren Ende mir mein größtes Hobby, das Gitarrespielen, keinen Spaß mehr macht, nach der ich immer noch mit meiner Freundin zusammen bin, mit der man auch gar nichts diskutieren kann, weil sie dann immer gleich gekränkt ist. Ach, momentan ist einfach alles blöd.
 
Hallo Michael,
Dein gestriger Tagebucheintrag zeigt doch ganz deutlich auf dass Du etwas in Deinem Leben verändern mußt.

Mir ging es in diesem Jahr auch so ... und ich habe mich von meinem langjährigen Partner in aller Freundschaft getrennt und lebe wieder allein.
Es war ein Glücksgefühl diese Entscheidung für mich getroffen zu haben!
 
Sonntag, 02.01.2022

Ort: Frankfurt/Main

Meine Freundin und ich sind am Donnerstag Nachmittag (30.12.2021) nach Frankfurt/Main gefahren. Meine Freundin hat dort im Stadtteil Bornheim eine Wohnung seit ca. 6 Jahren, da sie damals bei einer Frankfurter Zeitschrift zu arbeiten begonnen hatte. Vor ca. 5 Jahren habe ich sie in meiner Heimatstadt in Niederbayern kennengelernt. Es war der 25.12.2016. Sie ist damals kurz vor Silvester nach Frankfurt gefahren. An Silvester 2016/2017 kam ich in meiner Heimatstadt in der Früh von einer Party heim und ich hab spaßeshalber im Internet nachgeschaut, was eine Zugfahrt nach Frankfurt kosten würde. Da wurde mir gleich ein Super-Sparpreis von der Bahn angeboten. Ich habe 10 Minuten meine wichtigsten Sachen zusammengepackt und mich gleich zum Bahnhof auf den Weg gemacht und habe damals meine Freundin gleich mal spontan besucht. Sie war sehr überrascht, hat sich aber auch sehr über den spontanen Besuch gefreut. Seit dieser Zeit bin ich fast vierteljährlich in Frankfurt. Immer wenn ich dort bin, geht es mir um so vieles besser. So wie auch jetzt. Es geht mir gut. Weg von zuhause, weg von der Vergangenheit, weg von den verpassten Chancen.
 
Montag, 17.01.2022

Letzten Montag Abend (10.01.2022) bin ich mit dem Zug von Frankfurt/Main nach Hause gefahren. In meiner Heimatstadt angekommen, es war kurz nach Mitternacht, habe ich noch einen Bus in die Stadt erwischt; von dort aus war es zu Fuß nur noch halb so weit nach Hause. Am nächsten Tag, es war Dienstag, hatte ich wieder einen Psychotherapietermin in einer eine Autostunde entfernten anderen Stadt. Danach war ich verärgert. Immer wenn ich momentan über die Jobsuche rede, bin ich danach sehr verärgert. Ich komme dabei mit diesen vielen Unbekannten nicht klar: wo werde ich arbeiten, was werde ich arbeiten, wann werde ich einen Job finden…

Am Mittwoch habe ich noch versucht ganz dringend einen Dozenten von der Uni zu erreichen, es ging um meine letzte Uni-Note, die noch ausstand. Da er nicht auf meine E-Mails antwortete, versuchte ich ihn auch telefonisch zu erreichen, aber auch vergebens. Wenigstens die Sekretärin ging ans Telefon und diese konnte mir wenigstens sagen, dass der Dozent nicht krankgeschrieben sei.

Am Nachmittag sah ich die E-Mail, dass mir die Note im Prüfungssystem eingetragen wurde. Äußerst gespannt loggte ich mich ins Prüfungssystem der Uni ein und sah, dass ich den kritischen Kurs bestanden hatte und ich somit mein Studium endlich abschließen konnte.

Für den Abend war in einem Dorf in der Nähe von München ein abendliches Feuer im Garten geplant. Eine Bekannte wollte ihren neuen großen „Garten-Ofen“ vorführen, so eine Art Kübel-Dose, in der man Feuer machen kann. Die erste „Dose“, die meine Bekannte beschafft hatte, war wesentlich kleiner und bei einer abendlichen Feuerrunde vor Weihnachten einem gemeinsamen Bekannten viel zu klein, der bei der abendlichen Feuerrunde vor Weihnachten frierend und meckernd davonzog; ihm war das Feuer viel zu klein. Am Nachmittag schrieb ich noch meiner Bekannten, dass es am Abend im Januar draußen doch ziemlich kalt werden würde und dass der Abend vor Weihnachten dagegen ein Kindergeburtstag war. Aber meine Bekannte wollte den Abend unbedingt feiern, vor allem, weil ich ja jetzt mein Studium fertig hatte. Also zog ich mich zweischichtig sehr warm an und fuhr in das Dorf vor München. Obwohl ich doch so warm angezogen war, fror es mich am Feuer.

Am Donnerstag fuhr ich in die Uni. Ich hatte kurzfristig einen Termin beim Psychologen der Studienberatung bekommen. Ich war sehr froh, dass ich ihm von meinem Studienabschluss berichten konnte, schließlich war ich seit Sommersemester 2013 ein regelmäßiger Gast in der Studienberatung. Dieser freute sich auch sehr mich zu sehen. Ich erzählte in einer guten Stunde, was sich seit meinem letzten Besuch im Winter 2019 ereignet hatte. Damals musste ich für mich eine Therapie organisieren und ich bekam dabei von der Studienberatung Hilfe.

Am Freitag hatte ich meinen 33. Geburtstag. Meine Freundin hatte mir Kuchen gebacken. Meine Freundin ist extra aus Frankfurt zu mir gefahren und spät in der Nacht zum Freitag bei mir angekommen. Mein Geburtstag war leicht eingetrübt durch einen Schnupfen, den ich mir wohl noch in Frankfurt eingefangen hatte und der sich allmählich einschlich. Ich hätte am Freitag auch meine Gitarrenschüler unterrichten müssen, aber ich entschied mich lieber abzusagen, da man nicht ausschließen konnte, dass mein Schnupfen irgendwas mit der Omikron-Corona-Variante zu tun haben könnte.
 
Donnerstag, 27.01.2022, abends

So 23.01. nachmittags: Spaziergang mit einer Uni-Bekannten in und um ein Dorf im Osten des Stadtgebietes, droben auf einem Berg mit einer Kirche und einem angrenzenden Naturschutzgebiet (früher war es ein Truppenübungsplatz): sehr matschig, nur noch ganz wenig Flecken mit Schnee, aber schon noch kalt.
Ich war ein bisschen früher dort und habe mir die kleine Dorfkirche angeschaut: sie war sogar offen, eine schöne alte Kirche.
Gleich am Eingang bin ich erschrocken (links nach dem Eingang): da war so ein altes Bild und darunter so ein Kasten mit drei Totenschädeln und ein paar Knochen: memento mori (lateinisch für "gedenke des Todes", ein beliebtes Bildmotiv im Mittelalter)
 
Montag, 21.02.2022, abends

Am 01.02. hatte ich ein Vorstellungsgespräch in Neu-Isenburg (in der Nähe von Frankfurt/Main). Es hat nicht geklappt. Mehr möchte ich gar nicht darüber erzählen. Nur, dass ich auf diese Weise auch wieder eine Woche bei meiner Freundin in Frankfurt gewesen bin. Da hilft nur eins: sich weiter bewerben. Jetzt ist es knapp einen Monat her, seitdem ich weiß, dass ich mein Studium geschafft habe. Seitdem geht es mir auch besser. Das war doch eine große Belastung, v. a. das in der Luft hängen. Jetzt steht als nächstes Ziel der Berufseinstieg an.

Es gibt da dieses Goethe-Zitat: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ (aus Faust). Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie uns eine Uni-Dozentin als Hausaufgabe aufgegeben hat, zu diesem Zitat ein paar Sätze zu schreiben, was uns dazu einfällt.

Oft gibt es ja den Fall, dass Söhne den Beruf ihres Vaters übernehmen oder die Firma ihres Vaters übernehmen. Ich glaube, dass ich nicht viel erklären muss, dass ich nicht Soldat werden wollte, wie mein Vater. Der Vater meines Vaters war Maurer und wurde im 2. Weltkrieg als Soldat eingezogen. Mütterlicherseits ist mein Großvater als Zivilist bei der Bundeswehr angestellt gewesen. Und ist auch heute noch überzeugter Bundeswehrler, seit seinem eigenen Wehrdienst in den 1960ern. Er hat noch viel aus seiner Bundeswehrzeit erzählt, dass dort v. a. in den Anfängen der Bundeswehr noch einige ehemalige Nazis als Ausbilder unterwegs waren.





Mittwoch, 23.02.2022, abends

Vor knapp einem Monat hatte ich diese Begegnung mit memento mori, mit dem Gedanken, dass wir alle eines Tages mal den Löffel abgeben müssen, dass wir sterben müssen.

Seitdem ist bei mir wieder in den Vordergrund getreten, dass gemeinsame Zeit, v. a. die mit seinem Partner oder seiner Partnerin, sehr kostbar ist und irgendwann auch einfach vorbei ist.

Heute Mittag kam auch endlich meine Bachelor-Urkunde von der Uni mit der Post, amtlich als Dokument mit Unterschrift und Siegel: Sie sind jetzt ein Bachelor. Und damit geht für mich auch ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende. Man könnte meinen, die meines Studiums. Es war mir lange Zeit aber nicht bewusst, aber es ist ein größerer Zeitabschnitt: sagen wir mal von meinem Eintritt aufs Gymnasium 1999 bis heute? Leider habe ich die Uni als Fortführung meiner Schulzeit betrachtet. Universität als Erwachsenenschule; es heißt ja auch Hochschule. Nicht umsonst wird häufiger bemängelt, dass die Universitäten zu verschult seien.

Ich denke mal ein bisschen zurück: wie ging das denn los mit meiner Schulzeit ab dem Gymnasium?

Also man fängt ja dann zusammen in der Grundschule an, manchmal sogar mit Leuten, die man aus dem Kindergarten noch kennt. Dann wird aufgeteilt: ein Teil geht auf die Hauptschule (heute Mittelschule), ein anderer Teil geht auf die Realschule und wieder ein anderer Teil geht aufs Gymnasium. Man kommt dann auf eine viel größere Schule, manchmal in einem anderen Stadtteil, wo man dann auf einmal mit dem Schulbus hinfahren muss. Dort wird man dann mit anderen Gymnasiasten aus anderen Stadtteilen zusammengemischt. Da ist auf jeden Fall auch Anpassung daran gefragt: ich kann mich an die ersten Exen (also Prüfungen) erinnern, die wir geschrieben haben, die auch so gemacht waren, dass man merkte: ah, hier weht ein anderer Wind, die Grundschulzeit ist vorbei, ich muss mich jetzt anders vorbereiten. Das hat auch noch funktioniert. Aber dann kam die Scheidung meiner Eltern, es war zum Halbjahr in der 5. Klasse, mittlerweile waren wir schon im neuen Jahrtausend angelangt, das Jahr 2000. Die 6. Klasse war hart, da ging es mir wegen der Scheidung gar nicht gut. 7. Klasse war wieder besser, da war ich sehr fleißig. Und dann hat’s über die Jahre abgenommen, entsprechend der Pubertät halt. 8., 9., 10., da hat mich nicht nur die Sinuskurve interessiert, sondern andere Kurven der pubertären Mädchen. In der 11. war es dann soweit, da hat’s mich dann wegen Mathe und Physik durchgehaun. Hab dann die 11. wiederholt und hab zur 12. dann die Schule gewechselt. Die 12. und 13. Klasse auf der neuen Schule waren eigentlich die schönsten Jahre, weil die Schule kleiner war, ich viele neue Leute kennen lernen konnte und ein unbeschriebenes Blatt war. 2009 hab ich Abi gemacht. Auf die Uni bin ich dann 2013 gekommen.

Zwischen 2009 und 2013 hab ich mich sehr der Musik in verschiedenen Bands und Musikgruppen gewidmet, aber so richtig ernähren konnte ich mich mit meiner Musik nicht. Deswegen dann im Anschluss 2013 das Studium auf der Universität.
 
Montag, 07.03.2022, abends. Ort: Frankfurt/Main

Am 24.02.2022 sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert.

Renate: Das letzte Mal sind wir uns neulich im Traum begegnet. Du warst meine ewig Angebetete. Gerne würde ich Dich mal wieder treffen. Das letzte Mal habe ich Dich (in der Realität) im Zug gesehen und wie immer warst du ganz auf dich konzentriert: Du hast mich nicht gesehen.

Momentan läuft die Zeit bei mir rückwärts, von meinem jetzigen Standpunkt aus nach links, und die Zukunft nach rechts: dort wo ich stehe teilt sie sich auf.

Das war das Schuljahr 1999/2000, mein erstes Jahr auf dem Gymnasium. Seitdem waren wir in derselben Klasse. Irgendwie waren wir uns sehr ähnlich und wir sind uns oft über den Weg gelaufen: im Sommer im Schwimmbad, in der Stadt, auf dem Volksfest, beim Chinesen… einmal bin ich im Sommer abends mit dem Fahrrad spazieren gefahren. Ich habe damals in einem Dorf am Stadtrand gewohnt. Du warst mit ein paar anderen Leuten bei der Feuerwehrwache. Damals seid ihr vor der Horde hungriger Mücken geflohen. Irgendjemand hat in den Auen bei einem Bienenhaus eine Party gemacht. Jedenfalls hast du mich gefragt, ob ich nicht irgendwas gegen Mücken zuhause hätte. Ich habe gelacht, bin kurz nach Hause gefahren und hab sowas zum auf die Haut schmieren mitgebracht.

Und irgendwann trennten sich die Wege. Weißt Du noch, dass ich Dir damals, ich glaube es war in der 7. Klasse, einen Liebesbrief geschrieben habe? Du hast mir nicht geantwortet, bist auf Distanz gegangen.

Irgendwann in den letzten Jahren hab ich Dich mal in unserer Heimatstadt im Café sitzen gesehen mit deinem Baby auf dem Arm. Ich habe mich für dich gefreut und wieder hast du mich nicht gesehen.

7 Jahre waren wir in derselben Klasse. Man kennt sich gezwungenermaßen ziemlich gut, weiß, wie man reagiert, wenn man in der Schule ausgefragt wird usw.

Als Jugendlicher, wir waren so 16, hab ich dich mit deinen Freundinnen mal auf dem Volksfest getroffen. Ich war betrunken, hatte den Schmerz noch nicht überwunden. Hab gesagt, dass ich euch ne Maß Bier ausgebe, wenn ihr euch zu mir setzt. Also die Maß Bier hab ich euch ausgegeben, aber ihr habt euch nicht zu mir gesetzt. Ich hab dich dann als „Schlampe“ bezeichnet. Ich hab dann glücklicherweise einen Kumpel getroffen, den Schlagzeuger von meiner damaligen Band. Wir standen am Seitenausgang vom Bierzelt und ich wurde von einem Bekannten von dir zur Rede gestellt. Das war gefährlich, mein Kumpel hat erzählt, dass ich da dann schon mit meinem leeren Maßkrug herumgefuchtelt hätte. Irgendwie haben wir die Situation aufgelöst, ich glaub mein Kumpel hat mich dann weggezogen.

Später habe ich mich mal dafür entschuldigt. Ich hab dich damals glaube ich auf lokalisten angeschrieben, da war ich dann schon auf einer anderen Schule, du hattest schon Abitur gemacht und ich war in der 13. Klasse, weil ich ja in der 11. Klasse durchgefallen bin. Jedenfalls hast du gesagt, dass das jetzt schon okay sei, du hast mir noch alles Gute für mein Abitur gewünscht.

Im Traum habe ich Dir von den letzten Jahren erzählt, wir haben gelacht. Und heute frage ich mich manchmal, was du sagen würdest, wenn ich dir erzählen würde, dass es mir die letzten Jahre nicht gut gegangen ist. Oder wenn ich dir jetzt erzählen würde, dass ich mich jetzt in Frankfurt am Main nach einer Arbeit umsehen würde. Du würdest sagen, dass das sehr gut sei, dass ich schon was finden würde.
 
Freitag, 11.03.2022, früher Nachmittag, Frankfurt am Main

Heute ist mein erster freier Freitagnachmittag. Die letzten Jahre habe ich am Freitagnachmittag meine Gitarrenstunden abgehalten, in einer kleineren Gemeinde, ca. 20 Minuten Autofahrt entfernt von meinem „Wohnsitz“, „Heimathaus“,… „Elternhaus“. Heute und auch schon gestern habe ich gemerkt, dass ich etwas Heimweh habe, da sich jetzt die letzten verpflichtenden Verbindungen an meine Heimat aufgelöst haben.

Heute am frühen Nachmittag hat mich ein befreundeter Tontechniker angerufen. Er hat gefragt, ob für das Big Band Konzert, das nächste Woche ansteht, noch technisch alles beim Alten sei. Ich habe ihm erzählt, dass ich zusammen mit dem alten Big Band Leiter letzten Sommer aufgehört habe.

Die Big Band… ein Konstrukt, das noch aus meiner Schulzeit stammt. Meine Schulzeit hat erst so richtig aufgehört mit meinem Studienabschluss im Januar 2022.

Ich möchte mich mal erinnern, wie ich denn da so reingerutscht bin. Also in der 5. Klasse habe ich Gitarrenunterricht an der städtischen Musikschule gehabt. Ich hab dann erst einige Jahre klassische Gitarre gespielt und so in der 8. Klasse meine erste E-Gitarre bekommen. Mein Gitarrenlehrer hat mir erzählt, dass sie für eine Schüler Big Band, die Freitagabend proben würde, einen Gitarristen suchen würden. Und so bin ich dazugekommen.

Da war ich anfangs auch in der sog. „Schüler Big Band“, die haben immer 2-wöchig am Freitagabend in der Musikschule geprobt, abwechselnd mit der „Mini Big Band“. Und ich glaub, dass ich da dann bis zu meinem Abitur gespielt habe. Dazu kam dann in meiner späteren Schulzeit noch die Jugend Big Band, die dann immer mittwochs probte.

Im Schuljahr 2009/2010 hab ich in München angefangen zu studieren, konnte dann nicht mehr in die Proben kommen, weil ich zu der Zeit auch in München gewohnt habe. Jedenfalls anfangs ein paar Monate in einer WG. Da habe ich mich nicht richtig wohl gefühlt und bin zu meinem Vater in München gezogen. Das war keine gute Idee.

Dort habe ich dann von Frühjahr 2010 bis Spätsommer 2010 gewohnt, dann bin ich wieder in eine neue WG gezogen, damals mit meinem besten Kumpel und seiner damaligen Freundin. Das ging aber wieder nur ein paar Monate gut und ich bin zurück in meine Heimatstadt gezogen. Ich hatte da in dem zweiten Jahr in München gar nicht mehr so viele Kurse und konnte viel von zuhause aus machen. Ich habe dann auch wieder in der Musikschule angefangen bei der Jugend Big Band mitzuspielen. Im Sommer 2011 folgte dann der Ritterschlag und der damalige Leiter der Big Band fragte mich, ob ich mir vielleicht vorstellen könnte ab nächstem Schuljahr in der Jugend Big Band und in der großen Big Band E-Bass zu spielen. Und somit begann ich im September 2011 auch in der großen Big Band E-Bass zu spielen.

Die große Big Band: das waren die Großen, die Erwachsenen, die sehr schwere Stücke spielten. Die auch viel Alkohol konsumierten, vor allem nach den Konzerten. So zog es mich auch immer mehr in ein merkwürdiges schmuddeliges Kneipen-Milieu. Da wollte ich auch dabei sein.

Die ersten Jahre ging es dann relativ gut. Schwierig wurde es, als ich im April 2013 wieder zu studieren angefangen habe. Ich hatte mir dann vorgestellt Lehrer zu werden.

Übrigens bin ich auch im Herbst 2011 mit meiner damaligen mehrjährigen Freundin zusammengekommen. Wir waren bis Anfang 2016 zusammen.

Ein Spannungsfeld zwischen Big Band, Freundin und Studium. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.

Ich habe auf die Weise in den 2010ern sehr viel Zeit in Musikschulen verbracht. Achja, und ab März 2010 hab ich eben auch Gitarrenunterricht in einer anderen Musikschule in der 20-minuten entfernten Gemeinde gegeben. Und diesen Gitarrenunterricht habe ich jetzt auch Ende Februar 2022 beendet. Merkwürdig, dass ich mir jetzt gerade vorstelle, dass ich die letzten Jahre immer Freitagnachmittags in der Musikschule gesessen bin und Gitarrenunterricht gegeben habe.
 
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Gerade musste ich weinen. Ich hatte zu viel Frustrierendes um die Ohren. Da ist mir eingefallen, was ein Psychiater mir mal gesagt hat. Er meinte, wenn man weinen müsste, dann sei man in dem Moment ganz nah bei sich selbst. Daran musste ich gerade denken und das konnte mich wieder etwas trösten.
 
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