Liebe Clara!
Eine Freundin sagte mir einmal "Warte mal ab, wenn deine Kleine in der Pubertät ist, dann bekommst du das zurück, was du selber deinen Eltern angetan hast."
Da musste ich jetzt lachen. Wenn mein Pa auf Besuch bei uns war und es ging wieder mal rund im Reinfriedschen Hause, weil alle Mädels sich von ihrer Schokoladenseite zeigten
dann lehnte sich mein Vater oft im Sessel zurück, grinste wie ein kleiner Junge und meinte: "Ich hab Dir ja gesagt, es kommt immer alles zurück im Leben..."
Aber im Grunde genommen habe ich lediglich das gemacht, was ich mir schon als Kind vornahm. 'Wenn du erwachsen bist, machst du das Gegenteil von dem, was sie(meine Mutter)macht.' Das habe ich(mit Abstrichen) meistens durchgehalten.
Bei mir war es ähnlich, ich versuchte, das, was ich als negativ in meiner Erziehung bewertete, genau andersrum zu machen.
Ich habe mal gehört, dass die Erziehungsmethoden immer gerne eine Generation überspringen - vielleicht ist das so. Meine Kinder werden auch in verschiedenen Bereichen sagen, das oder jenes werden sie genau andersrum machen, weil sie es als negativ empfunden haben.
Was mich am meisten störte an meiner Mutter war, daß ich ihr so ähnlich sah. Heute stört mich das nicht mehr. Aber früher war es für mich schlimm, wenn die Leute sagten, ich sähe der Frau ähnlich, die mir das Leben schwer machte.
Das war nur eine Zeitlang bei mir so, ich sah als Kind und sehe heute aus wie mein Vater, dazwischen hatte ich kurz eine optische "Mutterphase" (aber das gefiel mir ganz und gar nicht).
Ich habe ein Foto von uns dreien. Meine Tochter steht in der Mitte, meine Ma und ich rechts und links. Drei Generationen Frauen - alle sehen gleich aus. So ähnlich - und doch so verschieden.
Das ist bei uns nicht so. Wenn man meine Geschwister und mich ansieht, würde man NIE vermuten, dass wir untereinander auch nur annähernd verwandt sind. Meine Mutter meinte mal, wir sähen aus als hätte sie uns "zamgstohln" (an verschiedenen Orten gestohlen).
Und genauso ist es bei meinen Kindern - keine optische Ähnlichkeit, weder untereinander noch mit den Eltern. Eine leichte Ähnlichkeit mit mir kann ich noch bei meiner Jüngsten erkennen, aber das wars dann schon.
Ein einziges Erkennungsmerkmal gibt es bei uns in der Familie: Wir sind alle groß & schlank. Aber die Gesichter sind so verschieden, verschiedener können sie gar nicht sein.
Wenn ich meine Tochter betrachte, denke ich oft 'so hättest du sein können, wenn du nicht dauernd beschimpft und wie ein Idiot behandelt worden wärst'. Dann bin ich froh, daß ich aus dem Verhalten meiner Mutter so viel gelernt habe. - Wahrscheinlich genauso wie sie aus dem Verhalten ihrer Eltern gelernt hat...
Ja, das ist sicher so. Mein Vater kam seinerseits bereits aus einer Familie, die mit eiserner Hand (=Prügel) regiert wurde. DAS hatte er leider beibehalten, andere Dinge wiederum machte er komplett anders als seine Eltern. Zum Beispiel mussten alle Geschwister im Haushalt mitarbeiten, das mussten wir überhaupt nicht oder extrem selten. Wahrscheinlich hatte ihn das total gestört und das war etwas, was er seinen Kindern nicht antun wollte. Die Ohrfeigen werden ihn hingegen nicht so gestört haben, sonst hätte er das auch geändert.
Ich hatte mal von ihm etwas gelesen, das war ein Schriftstück, in dem er seine verstorbene Mutter bewundert hatte - und die Ohrfeigen, die er von ihr bekommen hatte, beschrieb er so, als wären sie eine fast heilige Handlung gewesen. Er schrieb sogar, dass er diese vermisst, weil sie für ihn eben der Begriff "Mutter" waren.
Auch wenn das nicht nachvollziehbar klingt, aber es ist eine Brücke, um ihn besser zu verstehen.
Liebe Grüße
Reinfriede