Liebe Venus,
wie geht es dir? Schon ein bisschen Licht am Ende des (Gefühls)tunnels?
:morgen:
Der letzte Beitrag von Picses war ganz schön heftig, und die Vehemenz ihrer Worte lassen auf einschlägige und schlechte Erfahrungen schließen (ist nicht böse gemeint, pisces).
Ich stimme zwar zu, dass du in der Retter-Rolle bist, denn diese übst du ja in der Praxis aus. Doch auf der Gefühlsebene glaube ich schon, dass du dich als Opfer seiner Verletzungen fühlst.
Andere Menschen können einen sehr wohl verletzen. Es ist blanke Theorie,
wenn man meint, das würde man erst gar nicht zulassen. Denn meist setzt erst der Selbstschutz ein, wenn schon ein gewisser Pegel an Verletzungen da ist. Aber das ist eben auch nicht immer der Fall,wie zB bei dir. Wobei ich glaube, dass es tendenziell Frauen sind, die angeblich "zu sehr lieben". Mit eben diesem Buch hatte ich gewisse Schwierigkeiten, denn die darin beschriebenen Beziehungen haben der Frau jeweils einen dicken Opfer-Stempel aufgedrückt. Offen gestanden, ich habe diese Haltung noch nie bei einem Mann erlebt. Die Wahrnehmung der Männer ist anders gelagert, ich glaube, Männer haben von Haus aus einen tatsächlich im Endeffekt viel gesünderen Egoismus, was Frauen auch nicht schaden könnte.
Das, was Pisces schreibt über das Gleichgewicht von Nehmen und Geben, das trifft 100%ig zu. Wenn dieser Aspekt stimmt, so ist das eigentlich das Geheimnis einer gut funktionierenden Beziehung.
Ich selbst nehme mich auch gar nicht aus von dieser "Opferhaltung", denn ich habe sie selbst viele Jahre lang praktiziert. Und dann furchtbar gejammert, dass meine Rechnung nicht aufgegangen ist.
Es hat sich dabei auch nicht um lebenswichtige, "große" Dinge gehandelt, sondern um die tausend Kleinigkeiten im Alltag. Natürlich macht man das nicht mit jedem Handgriff bewusst, die grosse Erkenntnis kommt meist erst viel später, wenn man Distanz hat. Ich habe meinem Mann buchstäblich alle Wünsche von den Augen abgelesen, er musste meist nicht mal was sagen. Das hatte er aber gar nicht erwartet von mir! Der Ausgleich konnte ihm dann auch gar nicht mehr gelingen. Es war belastend für ihn. Ich hatte diese Beziehung (leider) zu meinem absoluten Lebensmittelpunkt gemacht, so wie du es jetzt tust, Venus. Und, es stimmt, ich habe im Grunde genommen damit seine Verachtung erworben (Verachtung für ein Zuviel des Guten), so dass er mich, im Sinne der Ordnung, verlassen musste.
Eine ganz logische Folge der Aufopferung ist die, dass man ähnliche Erwartungshaltungen an den Partner hat. Auch wenn das erst mal jeder abstreiten würde. Und wehe, diese Erwartungen werden nicht auf die eine oder andere Weise erfüllt - dann wird man grantig, aggresiv, fühlt sich "zu gut für die Welt", um "Liebe" betrogen, " ....wie kann er nur, wo ich doch so viel für ihn getan habe ...." usw.
Und wenn ich heute ganz ehrlich zu mir selbst bin, dann muss ich sagen, dass mein Verhalten zwar schon Liebe war, aber im tiefsten Inneren auch von einer
ganz großen Verlustangst getragen war. Es war sowohl Liebe als auch Verlustangst. Das Überwiegen des Letzteren hat das Kippen in die fatale Richtung ausgelöst. Die gezeigte Verlustangst empfindet nämlich der Partner, zu Recht, als emotionale Erpressung ("... ich kann ohne die nicht leben ...").
Heute würde mir das garantiert nicht mehr passieren, aber der Preis für diese Erkenntnis war sehr hoch, zu hoch.
Der Untertitel des besagten Buches könnte auch lauten "... wenn Frauen zu sehr fürchten, verlassen zu werden...".
Wenn man mitten drin in so einem Dilemma steckt, dann ist es sicher sehr schwierig, "Liebe" und "Verlustangst" klar gegeneinander abzugrenzen.
Venus, ich denke du brauchst ganz dringend Abstand, um deine Gefühle zu klären. Vorläufigen Abstand zu gewinnen könnte deinem Freund gegenüber als Argument dafür dienen, dass diese Lösung eine Art Kompromiss ist, bis der Zeitpunkt reif ist, wo du wirklich weisst, was du brauchst und willst.
Und auch er käme gezwungenermaßen zur Selbstreflexion, die vielleicht eine Einsicht bewirken würde bzw. eine echte Wertschätzung für dich als Mensch.
Liebe Grüße,
Karin