Kalachakra Tantra
Der
Kalachakra Tantra ist ebenso kompliziert. Beim Kalachakra Tantra kommt es ausserdem nicht zum Orgasmus.
Frage:
In den Büchern liest man immer wieder, dass es zu den Gelübden im Kalachakra gehört, keinen Orgasmus zu haben. Auch seine Heiligkeit (der Dalai Lama) hat in Graz sehr offen erläutert, dass es im Kalachakra - Tantra die Praxis der sexuellen Vereinigung gibt (Karmamudra-Praxis), dass es sich dabei aber nicht um eine gewöhnliche sexuelle Vereinigung handelt, sondern dass es dabei zu keinem "Abfluss" des Samens bzw. des weiblichen Sexualsekrets kommen dürfe. Wie ist das zu verstehen, wie sieht die praktische Umsetzung aus?
Antwort:
In allen Tantras der Anuttara-Klasse, keineswegs nur im Kalachakra, wird die sexuelle Energie als Mittel des Pfades verwendet. Das hat zwei Seiten, eine psychisch-emotionelle und eine technisch-energetische. Was ersteres betrifft, haben wir alle die Sehnsucht nach liebender erotischer Vereinigung, Anuttara Tantra arbeitet grundsätzlich mit dieser (und anderen Antriebskräften) und nicht gegen diese. Die Entwicklung von (nicht-unterscheidender) Liebe und Mitgefühl ist im Mahayana-Buddhismus die Hauptmethode, im Vajrayana symbolisiert durch den Vajra, während die Entfaltung der Meditation über die Leerheit die Weisheit darstellt, symbolisiert durch die Glocke.
Die Liebe zu einem anderen Menschen kann, wenn sie ohne Anhaftung und Besitzergreifen entfaltet wird (genau das ist der Leerheitsaspekt) die Ich-Grenzen überwinden und die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl zu allen fühlenden Wesen hervorragend fördern. Das ist der Königsweg des ursprünglichen Tantra. In der gängigen Literatur über Kalachakra findet man häufig negative Bewertungen der sexuellen Vereinigung, wie etwa, dass die besten Praktizierenden keine Vereinigung "brauchen", oder das eine visualisierte Vereinigung zu einem höheren Resultat führt als eine tatsächliche.
Diese Bewertungen stammen durchwegs von kommentierenden Mönchen und können aus den eigentlichen Quellen nicht hergeleitet werden, im Gegenteil, sie passen nicht zur allgemeinen Sichtweise des Anuttara-Tantra. Es ist aber verständlich, dass Mönche sich zu diesem Thema oft in Warnungen und Ermahnungen ergehen, häufig gipfelnd in der Aussage, dass die Praxis des Vereinigung nur von sehr weit fortgeschrittenen Übenden ausgeführt werden kann. Wäre dem so, dann müsste die Majorität der Übenden, zum Beispiel die zehntausend Menschen, welche bei der Kalachakra Einweihung in Graz anwesend waren, auf die Praxis der sexuellen Vereinigung verzichten (nicht genug fortgeschritten), statt dessen würden sie jene gewöhnliche Vereinigung üben, die sie gewohnt sind, handelt es sich doch in der Überzahl um Menschen mit Beziehungen, Familie und so weiter.
Die sexuelle Energie würde dann eben nicht integriert werden, sondern sozusagen außerhalb des spirituellen Bereichs liegen. Genau so ist die Sache aber NICHT gedacht, vielmehr sollten Kalachakra-Übende ihre erotischen Bedürfnisse als Teil der Praxis leben, aber eben ohne Orgasmus.
Ich habe diese beiden Artikel über Tantra eingeführt, um deutlich zu machen, das Tantra etwas anderes ist, als das, was die meisten darunter verstehen.
Alles Liebe. Gerrit