rhiannon, wie wahr... es ist kein leichtes thema!
ich selbst habe meine allergrößten schwierigkeiten mit dem begriff der "unbedingten liebe". auf mich bezogen halte ich das für einen vielleicht frommen, aber doch selbstbetrug. ich bin ... das allein ist schon eine heftige bedingung für meine möglichkeiten des liebens. ich bin mit all dem, was mich so werden hat lassen, mit all dem langsamen lernen, mit all den verstrickungen...
wenn ich dieses konzept einer unbedingten liebe mir überstülpe - und erst recht einer partnerschaft -, dann überfordert mich das. mit all meinen bedingungen kann ich nicht erfüllen, was gelebte unbedingte liebe zu sein hätte... ergebnis: schuldgefühle, frust...
meine alternative besteht darin, meinen alles andere als vollkommenen umgang mit liebe in liebe (und mit viel eigenliebe) anzunehmen und ... langsam zu lernen.
lernen auch in bezug auf liebevolles handeln. in meinen augen ist nach wie vor erich fromms "die kunst des liebens" ein werk, das liebe ernst nimmt wie kaum ein anderes buch. eben weil fromm unterschiede ernst nimmt - die mütterliche, die väterliche, die kindliche liebe, die eigenliebe, die sadomasochistische liebe (was nicht primär sex meint), die liebe zur menschheit, die gottesliebe... und fromm spricht immer wieder von der praxis der liebe, die es zu erlernen gäbe, und das unterscheidet sich wohltuend von allen, die es einfach mit ihren wonniglichen gefühlen bewenden lassen und meinen, das wär schon die liebe, wenn das herz aufgeht oder die schmetterlinge in der region unter dem nabel flattern.
lieben ist tun. und wenn fromm ein eigenes kapitel dem verfall der liebe in der westlichen welt widmet (das buch wurde in den frühen 1950ern in den USA geschrieben), dann meint er vor allem die merkantilisierung der liebe. menschen werden zu objekten der liebe, das haben wollen tritt in den vordergrund, wer mehr begehrt wird, hat den höheren marktwert, und überhaupt: viel hilft viel. fünf beziehungen bringen mehr renommee als eine liebe durch dick und dünn, das möglichst rasche herstellen von befriedigung hat vorrang, liebestechniken erlangen priorität.
damit treten dann auch die unterscheidungen in den vordergrund, ob denn nun ein bisserl schmusen schon ein scheidungsgrund ist oder ob erst andauerndes fremdvögeln das ende einer beziehung herbeiführen darf... und auch das wird je nach bedürfnislage entschieden ("ich brauch das eben"), "ordnungen der liebe" werden als patriarchale anmaßung zurückgewiesen.
ich hab immer eine innige seelenfreundschaft mit einer frau oder auch mit einem mann für intimer gehalten als das vernaschen von einem stückchen erotischer beziehungsschokolade... krisen entstehen aber fast immer durch letzteres. partnerschaft und wechselseitige exklusivität scheinen - eher wieder mehr - ehernes und eheliches gesetz zu sein. wobei auch doppelfallen gang und gäbe sind: "wenn du mich lieben würdest, gönnst du mir auch die seelennahrung, mal an einem anderen zu knabbern!" sagt der gleiche partner, der bei anderer gelegenheit frustriert auftrumpft: "wenn du mich lieben würdest, würdest du nicht zusehen, wie ich mir bei anderen hole, was du mir nicht gibst!". es ist alles sehr kompliziert...
das nur auf besitzdenken zurückzuführen, halte ich für einen kurzschluss. wir sind ja sonst auch nicht so mit dem, was wir besitzen. mir scheint eher, dass da jahrhunderte von tradition in den knochen sitzen: in beziehungen bekommen frauen die kinder, und erst in allerjüngster zeit können sich alleinerzieherinnen (unter meistens ziemlichen schwierigkeiten) über wasser halten. es war für frau und kind existenz sichernd, dass der mann für sie sorgte. wirtschaftliche abhängigkeit... das vertrauen, dass der partner bleiben wird, war lebensnotwendig.
und siehe da, kaum ändern sich die wirtschaftlichen rahmenbedingungen so, dass der mann nicht mehr als existenzgarant erforderlich ist, ändert sich auch schon das konzept der kleinfamilie. gerade erst als liebesbeziehung entstanden (liebe als konstituierendes element von familien ist ja auch gerade mal ca. 100 jahre alt und in weiten teilen der welt immer noch unüblich), wandelt es sich wieder zur "lebensabschnittspartnerschaft" (ein wort, bei dem mir immer wieder die übelkeit das gegessene hochtreibt). wenn die ware abgenutzt ist, leiste ich mir was neues.
ist "bis dass der tod euch scheidet" eine alternative? unverbrüchliche, kalte treue, um in pflichterfüllung dahinzuwelken, hat mit liebe wenig zu tun. gewohnheiten sind eine macht, und die scheinsicherheiten der bürgerlichen idyllen sind immer noch in vielen fällen so dicht gefügt, dass liebe vermutlich nur die kulissen stören würde.
partnerschaftliche liebe ist schwer, lieblose partnerschaften scheinen fast leichter zu sein. liebe ist ja alles andere als nur schön, wer liebt, leidet auch, kämpft, geht durch himmel und hölle, und wenn zwei das miteinander tun (oder drei oder vier), ist es immer das, was es ist, und wer hätte es zu beurteilen? sexualität ist ein aspekt davon, und mir scheint fast, wenn wir den zu sehr betonen, sind wir eh schon ganz dicht dran an der verdinglichung und vermarktung der liebe.
und wer die "ordnungen der liebe", wie sie etwa ein hellinger zu beobachten meint, als moralisches korsett versteht, hat wohl kaum einen satz der werke gelesen, die er da angreift. liebe schafft aus sich heraus ordnung, weil sie beziehungen stiftet. nicht gleich und nicht nur partnerschaften, sondern dichte netzwerke von beziehungen, über generationen hinweg, in denen alle formen der liebe (eltern, kinder, "geliebte" etc.) verwoben sind. und in solchen netzwerken kann nicht an einem knoten etwas geändert werden, ohne dass es sich nicht auf das gesamte netzwerk auswirkte. solche netzwerke können löchrig werden, in solchen netzen können verstrickungen aufgeknüpft und neu geordnet werden. ordnung ist in solchen netzwerken ein fließgleichgewicht, keine vom drohenden zeigefinger eingemahnte rechtschaffenheit. aber eben auch: jedes agieren im netz hat seinen preis. wer mehr nimmt als er geben mag, bei dem werden die schulden eingetrieben. wer mehr gibt, als er zu nehmen wagt, schwächt sich und das netz. auch das gehört zum langsamen lernen: das netz der "ordnungen der liebe" als eines zu begreifen, das mich auffangen kann, und nicht als eines, das mich in gefangenschaft nimmt. lernen, die "ordnungen der liebe" wahr zu nehmen und ihnen gemäß zu leben...
bedingungslose liebe... ich meine, das ist das privileg gottes. und wenn ich mir die konkretisierungen göttlichen handelns in liebe in all den mythen ansehe, dann ist das wahrlich eine furchterregende liebe... so viel gewalt... den eigenen sohn ans kreuz nageln aus liebe zur menschheit?
da trau ich mich fast schon nicht mehr zu schreiben: alles liebe!
jake