Hallo Timmi und Mitleser,
ich erzähle mal ein bisschen von der Liebe zwischen mir und meinen Eltern.
Seit ich mich erinnern kann, empfinde ich meine Eltern als anders, mir fremd. Sie haben andere Wertigkeiten, legen Wert auf Dinge die ich nicht nachvollziehen kann oder zeigen dort, wo ich es für äußerst angebracht hielte keine Emotionen. Obwohl wir Blutsverwandt sind unterscheiden sich unsere Temperamente.
Was für sie ein Ausdruck der Liebe, Wertschätzung und Zuneigung ist, wird von mir nicht unmittelbar als solches verstanden – andersrum ebenso wenig. Wir sprechen unterschiedliche Emotionalsprachen.
So wie Hund und Katze sich erst mal eine Weile missverstehen, aufgrund ihrer unterschiedlich besetzten Körpersprachen, bevor sie sich anfreunden können, brauche auch ich Geduld und Zeit die Liebesbezeugungen meiner Eltern zu entschlüsseln.
Meinen Kindern dürfte es mit mir ähnlich gehen
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Jeder hat seinen eigenen Begriff von Liebe, sein eigenes Bewertungsschema für empfangene Signale. Und Jeder möchte gern nach
seiner Art glücklich gemacht werden. Problem dabei ist, dass A an B das weiter gibt, was A sich selbst wünschen würde. Wenn ich also heute meinen Kindern große Freiräume lasse, weil es mir als Kind ein Bedürfnis gewesen wäre solche zu haben (und ich es ja an meinen Kindern besser machen möchte), dann kann dass dazu führen, dass meine Kinder sich vernachlässigt fühlen, weil sie, von ihrem Typ her sich in einem enger gesteckten Rahmen aufgehobener, geborgener, geliebter fühlen würden.
Für meine Eltern beispielsweise sind materielle Dinge sehr wichtig. Es war mir ewig nicht nachvollziehbar und kränkte mich sehr, dass sie sich nicht über meinen puren Besuch freuen konnten, sondern mir Vorhaltungen wegen des Erscheinens mit leeren Händen machten. Heute weiß ich, dass sie es als Zeichen der Wertschätzung werten, wenn man ihnen ein Gastgeschenk mitbringt. Ich kann es zwar immer noch nicht nachvollziehen, wie es zu solchen begrifflichen Verknüpfungen kommen kann, aber ich respektiere, dass es für sie so ist und erscheine folglich mit einer Kleinigkeit in den Händen, wenn ich ihnen gegenüber ausdrücken möchte, dass ich sie wertschätze.
Für mich bedeutet Wertschätzung eher, dass man mir zuhört, mich wahrnimmt etc. und hat mit materiellen Dingen so gut wie gar nichts zu tun. Wenn jetzt beide Parteien darauf bestehen würden, dass die eine in der Sprache der anderen annimmt, dann hätten wir ständig Reibereien durch Missverständnisse.
Bei meinen Kindern komme ich nun natürlich mit der Zuhörer- und Aufmerksamkeitsmasche (weil für mich Ausdruck höchster Liebe) und muss mir dann anhören, dass die viel lieber so´n ganz profanes warmes Mittagessen als Ausdruck meiner mütterlichen Liebe hätten
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Ich denke, ich habe lange gebraucht, um mit meinen Eltern irgendwie einig zu werden. Erst fand ich sie fremd und wäre gern weit weg von ihnen gewesen Doch wohin ich auch ging, ich spürte stets dieses schmerzliche Loch des vermeintlichen Mangels an Zugehörigkeit und Clan-Wärme. Dann begann eine ziemlich lange Phase wo ich meinte, dass sie doch mit irgendetwas zu beeindrucken sein müssten. Da ich dabei jedoch stets von meinen Maßstäben ausging, kämpfte ich gegen Windmühlen, was ich auch tat, meinem Empfinden nach blieb mir die ersehnte Anerkennung versagt. Darauf folgte eine Phase der Zerrissenheit zwischen Abrackern nach Anerkennung und absolutem Frust, Zorn, Anklage und Schuldzuweisung. "Hätte ich eine andere Kindheit gehabt, hätte ich dem Leben anders begegnen können ......" (Auch wenn diese Feststellung letztlich zutreffend sein mag, erweisen sich derartige "Wenn-Sätze" als ziemlich fruchtlos). Bei den Eltern war mit Klagen eh nichts zu holen; im Gegenteil, die Fronten verhärteten sich um so mehr. Ich fühlte mich hin und her gerissen. Auf der einen Seite hätte ich gern endgültig abgeschlossen mit meinen Eltern (die sich nichtmal nachträglich mit den Schäden, die sie angerichtet hatten auseinandersetzen wollten), auf Nimmerwiedersehen, auf der anderen Seite spürte ich, dass die Sehsucht nach heiler Familie nur an der Basis, bei den tatsächlichen Wurzeln erfüllt werden kann und dass es an mir wäre, zwecks Heilung zu vergeben.
Zunächst gönnte ich mir jedoch noch eine Periode ausgedehnten Selbstmitleides. Das musste sein, weil wo hätte ich sonst jemanden finden sollen, der meine enttäuschten Gefühle so einfühlend hätte beweinen können, wie ich?
. Ich denke auch heute noch, dass es wichtig war, mir diese Zeit zu nehmen und nicht so rational verkopft ans Aufräumen zu gehen, weil’s doch heißt, dass der Klügere nachgibt. Und irgendwann kam mir dann die Idee, dass es evtl. fruchtbarer wäre zu versuchen meinem inneren Kind selbst eine gute Mutter zu werden und ihm all das zu geben, was ich bis dahin im Außen bei Eltern und später bei Partnern gesucht hatte – im Grunde die Erlaubnis einfach sein zu dürfen.
Hat prima geklappt. Und seit ich nicht mehr verzweifelt danach lechze, dass mich jemand lieben möge, damit ich mich selbst für liebenswert halten darf, fühle ich mich von vielen Seiten her mit Liebe beschenkt, auch Seitens der Eltern. Ich hungere nicht mehr nach Liebesbeweisen (die ich als solche betrachte) und habe viel mehr Zeit geduldig die kleinen Blümelein zu entdecken, die mir entgegen getragen werden.
Ich kann heute sagen, dass ich meine Eltern liebe. Es gibt immer noch Reiberein, doch es gibt auch Momente, wo wir unsere Unterschiedlichkeiten, derer wir uns heute alle bewusst sind, mit Humor nehmen und über bewältigte Missverständnisse lachen. Und ich kann sie heute auch körperlich berühren. Ich irgendwann konnte ich mit offenen Armen auf sie zugehen und heute finde ich es wieder ganz natürlich, ihnen auch körperlich nahe zu kommen.
timmi schrieb:
.... ich glaube, ich würde mir auf diesem Weg ein Bild von meinen Eltern konstruieren, das nicht stimmt. Meine Eltern sind nicht emotional und warm, dann wären sie nicht die Eltern, mit denen ich solche Probleme habe.
Ich denke schon, dass diese von Reinfriede angeregte Autosuggestionsübung helfen könnte, die Eltern auch in der Realität anders wahrzunehmen und durch ihre Resonanz auf dein Verhalten ihres zu verändern. Doch kann ich auch deine Vorbehalte dagegen nachempfinden. Ich habe auch immer etwas Angst davor mir selbst was vorzumachen – wär ich doch gern so realistisch
. Vielleicht fällt es dir zu einem späteren Zeitpunkt leichter solche Übungen zu machen. Das Bild deiner Eltern, das du jetzt mit dir herumträgst entspricht ja auch nicht unbedingt einer belegbaren Realität, sondern deinen Wahrnehmungen, die teilweise noch aus Zeiten stammen, zu denen ganz andere Bedingungen herrschten (als du noch aus der Sicht des Kindes wahrnahmst).
Mir hat es in der Zeit der Sehnsucht geholfen, mir vor dem Einschlafen oder in der Traurigkeit meine Geborgenheit in Gott vorzustellen, eine Hand, die mich trägt und eine, die mich vorsichtig beschirmt ohne mich einzuengen oder die Sicht zu nehmen.
Glückwunsch übrigens zum Motorradführerschein! Meine aufrichtige Bewunderung dafür
Liebe Grüße
Ping Pong