Danke für Deine Offenheit, Silence.
Darf ich Dir ganz ehrlich meinen Eindruck schildern?
Es könnte sein, dass Du Dich über Dein vermeintliches Defizit, sprich, Dein Übergewicht definierst.
Das entnehme ich der Tatsache, dass Du Dich darüber explizit in einem (anderen) Forum austauschst.
Nun hast Du jemanden gefunden, der (auf den ersten Blick) ein ebenbürtiges "Defizit" aufweist. Du gehst
also von der Prämisse aus, wenn Du IHN "trotzdem" attraktiv, begehrenswert finden kannst, dann sollte es für ihn
andererseits auch kein Problem sein, DIR die gleichen Gefühle entgegenzubringen. Eure Abweichungen von dem,
was man unter Norm versteht, quasi als Gemeinsamkeit, als bindendes Glied, "wir beide gegen den Rest der Welt".
Nicht so pathetisch natürlich, sondern eher sinngemäß.
ich habe ihm zu verstehen gegeben, daß seine Figur und so wie er ist, mir gut gefällt.
Das war sicher als Aufmunterung gedacht, aber ich kann mir schon vorstellen, dass er Dir schlichtweg nicht geglaubt
hat. Hast Du DIR denn geglaubt?? Ich meine, gefällt er Dir wirklich? Oder wärst Du lediglich bereit, Deine Vorstellung
anzupassen?
Weißt Du, wenn jemand ein wirklich objektivierbares körperliches Manko hat, dann ist er sich dessen meist schmerzlich bewusst.
Dein Bekannter hat ja bereits Rückzugstendenzen angedeutet, weil er sich schämt.
Extremes Untergewicht ist in unseren Breitengraden kein Zeichen von Mangelernährung, sondern es steckt in den
meisten Fällen ein Krankheitsbild dahinter. Wenn nun jemand sagt, ihm gefällt genau dieses äußere Bild der
Krankheit - dann klingt das sehr unglaubwürdig. Und die Vermutung, dass es sich auch um Mitleid handelt, liegt für
den Betroffenen auch recht nahe. Ich könnte das gut nachvollziehen.
wennn er ja eine feste Partnerin hätte, sein Leben ändern müßte ... er noch bei seinen Eltern wohnt, mit denen er sich aber überhaupt nicht versteht.
Auf die Frage, warum er sich keine eigene Wohnung nimmt, antwortete er , er hätte Angst, vor der eigenen Courage.
Der Mann mag sehr lieb und nett sein.
Aber bevor überhaupt eine Beziehung seinerseits auch nur angedacht werden kann, muss er sein Leben ändern.
ER muss das tun, Silence, nur ER.
Deinerseits vermute ich ein Helfersyndrom. Du beziehst Dein eigenes Selbstwertgefühl daraus, anderen zu helfen.
Und zwar ungefragt. Als Gegenleistung erwartest Du Dir (wenn auch unbewusst) Dankbarkeit und Anerkennung.
Durch Dein Angebot, bei Dir zu wohnen, hat er sich vermutlich bedrängt gefühlt. Denn es liegt ebenso im Bereich des
Möglichen, dass er sein Leben gar nicht ändern will.
Daher Dein Gefühl der Hilflosigkeit - weil Deine Hilfe zurückgewiesen wird.
Nämlich nur DU willst, dass er etwas ändern will.
[*]Da mein Selbstbewußtsein ja auch nicht grandios ist, ( bezüglich meiner Figur ) denke ich mir mein Teil, daß es für eine Freundschaft reicht, aber eben nicht für mehr.
Du bringst Deine Figur ganz automatisch in Bezug zu einem Mann, einer Partnerschaft ... merkst Du das?
Und ich denke, Du bist insgeheim zu ganz vielen Zugeständnisses bereit, damit Dich jemand so akzeptierst, wie Du bist.
Allerdings - wenn DU Dich nicht wohlfühlst, dann strahlst Du das auch aus, glaub mir.
Sobald jemand für Dich Interesse zeigt, so löst das vermutlich bei Dir tiefe Dankbarkeitsgefühle aus.
Denn tief im Inneren denkst Du, diese Aufmerksamkeit gar nicht zu verdienen.
Wenn Du wirklich unter Deiner Figur leidest (und den Eindruck vermittelst Du) und wenn Dein Übergewicht nicht
krankheitsbedingt ist, dann tu was dagegen.
Führe eine bewusste Entscheidung über Dein eigenes Wohlbefinden herbei, bevor Du danach strebst, stellvertretend (!) das Leben eines anderen
Menschen zu verbessern.
Warum können Männer nicht darüber reden, was sie belastet.
Erstens - betrifft das nicht alle Männer.
Zweitens - ich vermute, in Deinem Fall WILL er einfach nicht darüber reden. Auch das gilt es zu akzeptieren.
Er muss nach kurzer Bekanntschaft keinen Seelenstrip machen.
Zu seinem Trauma noch eine Anmerkung:
wenn er dieses vor 20 (!) Jahren erlitten hat, dann wäre es in seiner Verantwortung gelegen, eben dieses
Trauma mit Hilfe aufzuarbeiten. Statt dessen scheint er es sich in seinem post-traumatischen Zustand
bequem zu machen ... und er benutzt ihn, um sich keinen Zentimeter weit zu bewegen.
Wolltest Du tatsächlich einen Partner, der seine Probleme derart vernachlässigt, dass sie sein ganzes Leben negativ beeinflussen?
Wieder bin ich in einer Situation, in der ich um Liebe und Anerkennung fast bettele, wieder investiereich Gefühle und Zeit in einen Menschen und frage mich , ob er es überhaupt will.
Liebe Silence - Du BETTELST um Liebe und Anerkennung ... und wunderst Dich, dass es Dir damit
schlecht geht?? Betteln ist ein er-lerntes Muster auf der Grundlage eines Belohnungssystems. Ein Muster kannst Du auch
wieder ver-lernen, wenn Du es gezielt angehst. DAS sollte Dein Nahziel sein ... nämlich die Entwicklung eines gesunden
Selbstwertes, gerne auch mit Hilfe professioneller Unterstützung.
Hör auf, Dir Investment-Opfer zu suchen - also Menschen, in die Du "investieren" musst um im Gegenzug eine emotionale Rendite
zu bekommen.
Sei Dir selbst so viel wert, dass Du Dich vorrangig um DEIN Wohlergehen kümmerst. Damit meine ich sowohl
das mentale als auch das physische.
Aller andere wird sich dann von selbst ergeben.
LG
Lucille