allerdings vermute ich, dass wenn die kleine meinem mann davon erzählt,
dass er dann ankommt und sagt, ich würde sie beeinflussen....
Liebe Simone,
vielleicht liege ich auch mit meiner Einschätzung daneben - aber je mehr ich über die
Dynamik in Eurer Familie nachdenke, desto eher kommt mir der Gedanke, dass hinter
Deinem Verhaltensmuster, zusätzlich zu Deiner eigenen Prägung, schlichtweg Angst
vor Deinem Mann stecken könnte.
Bitte missverstehe mich nicht - ich unterstelle Deinem Mann keineswegs Gewalttätigkeit
im herkömmlichen Sinn.
Dennoch ist zB gerade der Aspekt der unmittelbaren Kommunikations-Verweigerung
eine Art seelischer Gewalt.
Der Konflikt wird nicht benannt. Der Aggressor weigert sich, seine Einstellung zu erklären.
Diese Weigerung lähmt das Opfer, das sich auf diese Weise nicht verteidigen kann. [...] Durch
die Weigerung verhindert der Aggressor eine Auseinandersetzung, die es ermöglicht, eine
Lösung zu finden.
Sich dem Dialog zu entziehen ist eine geschickte Art, den Konflikt zu verschärfen und ihn dabei
dem anderen in die Schuhe zu schieben. Da nichts ausgesprochen wurde, kann jedweder
Vorwurf gemeint sein.
Das verschlimmert sich noch, wenn das Opfer dazu neigt, sich schuldig zu fühlen. "Was habe
ich ihm getan? Was hat er mir vorzuwerfen?"
Werden dennoch Vorwürfe gemacht, sind sie ungenau und lassen Raum für alle Deutungen
und Missverständnisse.
Quelle:
Die Masken der Niedertracht von Marie-France Hirigoyen
Nur zur Erklärung, in diesem Buch wird, aus allgemeinen Verständigungsgründen, stets
von "Aggressor" und "Opfer" gesprochen.
Diese zitierte Passage scheint sehr gut auf die von Dir beschriebene Situation zu passen.
Kannst Du Dich (Euch) darin wiederfinden?
In meiner eigenen Trennungs- und Scheidungsphase war dieses Buch, das mir eine
Therapeutin empfohlen hatte, für mich eine außerordentlich große Hilfe. Mein Mann hatte
mir oft das Wort um Mund rumgedreht, eine "Stärke" lag im non-verbalen Bereich:
Achselzucken, Augenrollen den Kindern gegenüber mit Blick auf mich, ganz dicht an mir
pfeifend vorbeigehen ohne mich zur Kenntnis zu nehmen, das Essen mit angewidertem Blick
kommentieren ... usw.
Irgendwann begann ich, Angst zu haben. Eine ganz diffuse Angst, die ich auch nicht
richtig in Worte fassen konnte.
Als ich merkte, dass ich begonnen hatte, an meiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln,
fing ich an, Tagebuch mit sehr präzisen Ausführungen zu schreiben. Alles aufzuschreiben
wäre übrigens auch ein Tipp von mir an Dich.
Ich bin mir fast sicher, dass dieses Buch Dir in so mancherlei Hinsicht die Augen öffnen
würde.
Liebe Grüße,
Lucille